Ich
Seit ich frei habe, habe ich einen Schalter umgelegt. Ich bin sowas von raus. Und runtergekommen.
Erzähler: Wie sie auch dachte, von Tag eins an täglich 16 Stunden lang die Welt zu retten, haha… nichts tut sie, NICHTS.
Ich habe in kürzester Zeit völlig losgelassen, erlebe die Zeitung wie jeder andere Leser völlig von außen. Ich merke richtig, wie ich nicht mehr am News-Puls hänge, nichts mehr mitkriege. Seltsames Gefühl, aber auch nicht schlecht. Weniger getrieben.
Mein Tag hat einen anderen Rhythmus bekommen, nicht unbedingt langsamer, aber anders. Der Wecker klingelt leider nach wie vor ungnädig um sechs, weil das Tochterkind schon vor sieben aus dem Haus muss. Andererseits ist das ein Segen, denn der Tag fängt nicht vertrödelt an. Der Weg führt mich dann meistens erstmal zum Sport. (Nur heute nicht, weil Muskelkater aus der Hölle). Ab nachmittags bestimmt die Familie wieder den Takt, aber klar, es bleibt viel Zeit übrig, die ich füllen kann, womit ich möchte.
In dieser ersten Woche war es ein Runterkommen, Entschleunigen, Löcher-in-die-Luft-gucken. Man muss auch Zeit haben, einfach da zu sitzen und nichts zu tun, sagten schon andere schlaue Menschen. Die Erkältung tat ihr Übriges. Und mit so viel Freiheit muss man erstmal umgehen können. Heute war das Kind bei einer Freundin, ich habe es erst um fünf abgeholt. Und weil ich Zeit hatte, habe ich sie mir auch gelassen. Heute morgen war ich eine Runde spazieren, aktive Regeneration und so. Dann quälte ich mich eine Weile über die Blackroll und setzte danach auf warmes Wasser in der Wanne. Der Muskelkater wird langsam besser, aber meine Güte, das war heftig.
Heute Nachmittag allerdings kam dann der Aktivismus wieder zum Vorschein: Ich wuselte durch den Haushalt, putzte Bad und Gästebad, saugte Staub, verräumte Geschirr und Wäsche. Das Gefühl danach ist unbezahlbar. Was nämlich liegen bleibt, bleibt liegen und bildet Haufen und jeder, der zum Beispiel schon einmal zu spät Ablage gemacht hat, weiß, wie ermüdend solche Haufen sind. Die nur größer aber niemals kleiner werden. Ob es nun Unterlagen fürs Finanzamt oder Wäscheberge sind, spielt dabei keine Rolle.
Menschen, die tägliche Aufgaben allerdings strukturiert nach Wochentagen erledigen, sind mir auch wieder suspekt: Einerseits bewundere ich sie zutiefst für ihre stoischen Routinen, die nach einem einfachen Abarbeiten von Aufgaben und einem immer perfekten Zuhause klingen. Andererseits sind sie für mich unerreichbar, ich ticke einfach völlig anders. Angenommen, ich würde immer dienstags und samstags waschen – wäre mein Lieblingspulli nicht genau dann in der Wäsche, wenn ich ihn anziehen will? Angenommen, ich würde montags für den Rest der Woche Essenspläne schreiben und einkaufen – wüsste ich dann auch, worauf ich donnerstags Lust habe? Ich, die montags um elf noch nicht weiß, worauf sie eine Stunde später Hunger hat? Angenommen, ich würde sonntags für die ganze Woche vorkochen – ich würde sicher jeden Tag Zeit sparen, wäre aber auch gebunden an das, was bereits vorbereitet ist. Wer so tickt, hat meine Hochachtung. Ich kann es nicht. Ich schwankte heute ungefähr eine Stunde lang zwischen Bahnenschwimmen in der Stadt, Therme 60 Kilometer weiter oder Badewanne daheim wegen bequem. Und entschied mich – weil ich zwischendurch das Frühstücken angefangen habe – für letzteres. Sollte also mal die Welt untergehen, muss sie das auf alle Fälle spontan tun – ich würde meine Pläne sonst nur drölfmal ändern und davor noch zum Frisör gehen.
Die Kurznachrichten des Tages:
Gegessen: Hüttenkäse mit Blaubeeren und Kokoscrunch (Dauerbrenner!), Gemüsemaultaschen mit Kartoffelsalat, eine Banane, ein paar Nüsse, ein Brot mit Quäse und zwei Spiegeleier.
Gelesen: Hilfreiche Artikel, wie man Muskelkater loswird. („Achten Sie darauf, Ihr Pensum sorgfältig auszuwählen und sich nicht zu übernehmen“ – ACH…!)
Gesportelt: Nein, weil! Aber ich bin 3km um einen See geschlurft, die mir ewig lang vorkamen.
Gefreut über: Dass das Tochterkind langsam die Richtung gefunden hat und sich alles normalisiert. So’n Schulwechsel ist nicht ohne.
Geärgert über: Meine Sturheit, die mir diesen Muskelkater beschert hat. Ach ne, Disziplin, das war’s.