Midlife-Crisis ist ein hässliches Wort. Es klingt nach ersten Falten, nach Frust über Alltagstrott und dem sehnlichen Wunsch, alles nochmal neu anzufangen. Und macht den Status dessen, der sich angeblich in jener Lebensmitte-Krise befindet, zu etwas bemitleidens- und hämisch belächelnswertem.
Ich will nicht behaupten, in einer Krisenphase angekommen zu sein, denn ich war gerne 40 und bin gerne 41 und finde, dass sich das Leben im Moment geradezu vor mir ausbreitet. Nichts scheint unmöglich, viele Optionen, die es bisher nie gab, sind plötzlich einfach da. Das fühlt sich zwar tatsächlich neu an, aber keineswegs nach Krise. Es sind vielmehr Midlife-Chances, aus denen man schöpfen kann. Mit 41 weiß man nicht nur, was man kann und wer man ist, man weiß auch, dass man sich neu erfinden kann, wenn einem danach beliebt. Man ist (im besten Fall) finanziell nicht mehr auf Studi-Niveau, sondern hat (im besten Fall) die Möglichkeit, in sich und andere zu investieren. Und wenn’s nur in das Wolfsbarschfilet mit Gemüse auf der Sonntagskarte des Lieblingsitalieners ist. Einfach so, weil lecker.
Und während ich also mit großer Freude mein eigenes Altern beobachte, geschehen Dinge. Beruflich läuft es immer solider, ich habe gelernt, mit Nachdruck für mich und meine Bedürfnisse einzustehen. Wer Leistung bringt, darf auch mal fordern. Ich bin nach wie vor jeden Tag dankbar für den schönsten und spannendsten Beruf der Welt, lege mich mit Verve mit Ministerien an, nerve die Pressesprecher dieser Welt und grabe so lange, bis ich weiß, was ich wissen will. Mittlerweile liegen viel mehr gute Geschichten auf meinem Schreibtisch, als ich abarbeiten kann. Ich habe beschlossen, davon die Rosinen rauszupicken, weil ain’t nobody got time for langweilige Aufmacher. (Was nicht heißen soll, dass ich hin und wieder auch Dinge schreibe, die nicht pulitzerpreisverdächtig sind, aber so grundsätzlich.)
Vielleicht bedeutet Ü40 einfach nur, dass man über die Phase hinaus ist, in der das Leben endlos und irgendwie planlos scheint. Damit wir uns nicht falsch verstehen, es erscheint mir auch mit Ü40 noch sehr endlos (und manchmal ist planlos ganz wunderbar), aber manche Abschnitte sind einfach vorbei. Das wurde mir bewusst, als ich an einem Samstagabend nach elf noch in einer fancy Rooftop-Bar saß zwischen sehr viel rotlippigen, makeupgetränkten, chanelumwehten jungen Frauen in Kleidchen, die bei intimissimi als Nachtwäsche verkauft werden.
Nichts gegen Make-up und Chanel, aber wenn man an der Bar sitzt und an seinem hippen Eistee nippt und den Abend staunend und beobachtend eher für Sozialstudien nutzt, statt beim anderen Geschlecht seinen Marktwert abzuchecken oder einfach möglichst auffallend hip zu sein, hat man eine magische Grenze offenbar unwiderbringlich überschritten. Was nicht schlimm ist, nur eben eine Tatsache. Time over. Gottseidank. Wolfsbarschfilet is the new Rooftop.
Was nicht heißen soll, dass Ü40 irgendwie träger ist. Im Gegenteil. Mir gelüstet es zur Zeit viel mehr danach, Dinge anzupacken. Pläne zu schmieden und einfach umzusetzen. Habe ich eine gute Idee für eine Geschichte im Job, hänge ich mich ans Telefon und fange an zu recherchieren. Habe ich die Möglichkeit, Bilder auszustellen, verschwinde ich eine Woche lang im Atelier und nutze jede Minute, um kreativ und produktiv zu sein. Und vielleicht hat mir jemand, der weiß, dass ich ihn beim Wort nehme, vollmundig eine Redaktionshospitanz in Palermo versprochen und ganz vielleicht habe ich daraufhin beschlossen, im Winter 2023 so fließend Italienisch zu sprechen, dass es daran nicht scheitert. Weil ain’t nobody got time for boring Aufmacher auch auf Sizilien gilt, schätze ich.
Dass man im Alter unflexibler wird, ist übrigens eine Lüge, das wissen wir seit Corona alle. Wir haben umdisponiert, uns neu orientiert und auf kurzfristige Änderungen noch viel kurzfristiger reagiert. Und wenn ein geplanter Urlaub ins Wasser fällt, wird er eben durch einen anderen ersetzt oder er fällt aus, ohne dass die Welt untergeht. Und wenn Planungen einfach aus vielen Gründen nicht möglich sind, dann lässt man es eben, denn mit jedem Lebensjahr gewinnt man die Sicherheit dazu, dass sich eh immer alles fügt. Und wenn nicht bei anderen, dann eben bei mir. Und wenn nicht sofort, dann eben morgen oder im November.
Man wird fatalistischer in vielen Dingen und lernt, dass einem das Leben nichts und alles schenkt. Nichts, weil man es nur schön hat, wenn man es sich schön macht. Und alles, weil man es schön hat, wenn man es sich schön macht. Das führte neulich dazu, dass ich vom Laufen kam und unter der Dusche stand und spontan Lust auf Irgendwas mit Garnelen hatte. Nur keine Garnelen. Weil die drei Tiefkühlschubladen in meiner Kühl-Gefrierkombination offenbar in Unkenntnis ihrer Selbst-Abtau-Möglichkeiten zu einem kühlen Grab für verschmähten Raclettekäse und was-da-wohl-drin-ist-Päckchen geworden waren, fand ich mich Minuten später in Unterwäsche und mit Handtuchturban auf dem Kopf vor dem offenen Gefrierschrank und föhnte statt meiner Haare knackende Eisbrocken weg. Was ich für eine Sache von optimistischen 20 Minuten gehalten hatte, dauerte am Ende knapp drei Stunden, was dazu führte, dass der Laden, der mir die Garnelen hätte verkaufen können, längst geschlossen hatte. Aber immerhin ist jetzt wieder Platz dafür und sobald mich die Lust auf Irgendwas-mit-Garnelen wieder packt, freue ich mich über die frostige Ordnung in meinen drei blitzblanken Schubladen. Lästige Dinge gibt es fortan nur noch dann, wenn ich ihnen das Attribut lästig verleihe. Und ganz ehrlich: Ain’t nobody got time for lästiges Zeug. Dann lieber mit Energie anpacken und gut ist.
Und weil meine gesamte Blase scheinbar auf Urlaub hinfiebert oder den Urlaub gerade genießt, habe ich beschlossen, es nicht zu tun. Weil ich kein Leben haben möchte, das nur drei Wochen im Jahr so richtig großartig ist, ain’t nobody got time for… ihr wisst schon. Das Jahr besteht aus 52 Wochen, die allesamt großartig sein sollten. Ohne Druck, es sein zu müssen, aber mit dem Bewusstsein, dass keine davon wieder kommt.
Wenn mir die Ü40-Zahl also etwas sagen möchte, dann „iss den Wolfsbarsch und das Törtchen, kauf die Highheels, geh Weitwandern, setz dir irre Ziele und hab Spaß dabei“. Klingt nicht nach Krise, oder?