Hau rein, alter Freund

Lieber Norbi,

ich weiß, dass Dich diese Zeilen nie mehr erreichen werden, vielleicht schreibe ich Dir trotzdem, um für alle Zeit festzuhalten, was mich in diesem Moment beschäftigt, ganz eigennützig. Und um zu verstehen, dass Du gegangen bist und nicht mehr zurückkommst. Ich war alles andere als bereit, dich gehen zu lassen. Ich bin es immer noch nicht, zwischen wissen und verstehen und gar akzeptieren ist ein weiter Weg. Aber ehrlich gesagt, wäre ich auch in 100 Jahren nicht dazu bereit gewesen. Ich muss es trotzdem hinnehmen und begreifen, dass ich nie wieder Deine Stimme an der Gegensprechanlage höre, dass ich vor ein paar Wochen zum letzten Mal auf Dein „Norbert hier“ auf den Summer gedrückt habe. Dass ich dir unwissend zum letzten Mal die Treppe runter entgegenkam, um mich Deinen zwei Metern auch noch mit zwei Stufen Vorsprung entgegenzustrecken.

Du bist vor 13 Jahren als Kollege in mein Leben gekommen und hast es vor wenigen Tagen als enger Freund und Vertrauter völlig unvermittelt verlassen. Und doch nicht. Denn mir fallen immer mehr Geschichten und Anekdoten ein, die uns verbinden und die Dich für mich unsterblich machen. Erinnerst Du Dich noch daran, wie stolz du mir deinen riesigen, gelben Lego-Bagger vorgeführt hast? Und erinnerst Du Dich noch an mein blödes Gesicht, als Du ihn mir tags darauf komplett zerlegt in der Schachtel mit in den Weihnachtsurlaub gegeben hast mit dem Auftrag, ihn aufgebaut wieder zurückzugeben? Ich erinnere mich an viele Mittagspausen mit Dir, bei denen ich so lachen musste, dass ich tagelang Bauchmuskelkater hatte. Als Du mich in der Tiefgarage mal auf den Kopf gestellt hast, hätte ich mir vor Lachen fast in die Hose gemacht. Wir hatten etliche Insider, die außer uns keiner verstanden hätte. Du warst immer gut darin, anderen eine Freude zu machen, weil Du empathisch und lebensklug wie kaum ein Zweiter warst. Ein gemeinsamer Freund hat heute über Dich gesagt „being a good friend came naturally to him“ und ich finde, treffender kann man es nicht sagen.

Deine Art, Menschen zu beobachten und sich in sie hineinzudenken, hat dich ausgezeichnet. Ich kenne niemanden, der Dich nicht mochte. Du hast Dich ohne Berührungsängste in jede Gruppe eingefügt und eingebracht. Vielen Leuten ging es wie mir am Anfang – man hatte sofort einen Draht zu Dir und das Gefühl, Dich schon ewig zu kenne. Dich, den Sankt-Pauli- und Terry-Pratchett-Fan, den Elektronik-Bastler, den Hörbuch-Hörer, den Nerd, der am Schwäbischen regelmäßig scheiterte, („ich bin Westfale, ich habe hier Migrationshintergrund, sprecht mal richtiges Deutsch!“), aber nichts unversucht ließ, uns westfälisches Sprachgut unterzujubeln. Dass ein belegtes Brot „ne Knifte“ ist, dass ein grauer Himmel auf „usseliges“ Wetter hindeutet und welche Bedeutung ein Mettbrötchen für einen Westfalen hat – ich habe von Dir viel, auch viel unnützes Wissen, gelernt. Intelligente Ironie war immer Deine Lieblingssprache.

Was nicht heißen soll, dass Du nicht oft irrsinnig anstrengend warst, mein Lieber. Ich kenne niemanden, der so leidenschaftlich diskutiert hat, wie Du. Am liebsten über Politik. Zumindest hast Du es immer geschafft, den Gesprächsverlauf bei Trump, der AfD oder dem bedingungslosen Grundeinkommen enden zu lassen. Punk im Herzen. Dabei hast du nie Plattitüden wiederholt, mit Deinem unersättlichen Wissensdurst hast Du Dir angelesen, was anderen zu kompliziert warst, hast über deren „kognitive Dissonanz“ geschimpft, wenn Du sie argumentativ in die Ecke getrieben hattest. Und insgeheim immer Deinen Spaß an der Reibungswärme gehabt. Ich weiß genau, dass Du einfach gerne Recht behalten hast.

Du hast zwar immer damit kokettiert, dass Deine Geschwister alle Intelligenz der Familie auf sich gezogen haben, aber Du wusstest auch immer, dass das nicht stimmt. Wie oft hast Du selbst mich sprachlos argumentiert und mit Deinem Wissensschatz überrollt? Ich seh Dich noch vor mir, wie Du mich von der Seite anguckst, mit den Augen rollst und sagst „Mädchen, so was weiß man doch.“ Das hast du auch oft gesagt, wenn ich Dir eine Frage gestellt habe. Und ich wusste von vornherein, ich muss Zeit mitbringen. Denn sehr oft hast Du dann erstmal Luft geholt, die Hände überm Bauch verschränkt, Dich zurückgelehnt und ungefähr bei der Entstehungsgeschichte des Weltalls angefangen. Unterbrechen war dann nicht mehr, „lass mich das ganz kurz noch zu Ende erzählen“ – da war klar, ich kann mich nochmal setzen. Und mir und Dir noch einen Kaffee holen. Oder eine Kanne. Schwarz, ohne Milch und Zucker, aber mit Löffel. Im Nachhinein bringt mich das zum Schmunzeln, denn oft genug hatte ich nach Deiner umfassenden Erklärung vergessen, welche Ausgangsfrage uns zu diesem Diskurs gebracht hat. Und vielleicht war das ja auch Deine Taktik.

In solchen Augenblicken kam ganz oft die westfälische Seele durch. An den meisten Tagen begleitete dich eine liebenswerte Grummeligkeit wie eine Art Grundrauschen. „Altes Brain“, hast du gesagt, wenn Dir etwas nicht so leicht von der Hand gehen wollte, wie gewünscht. Wer Dich kannte, wusste aber zwischen den Zeilen zu lesen. Denn was nach außen ein bisschen spröde wirkte, war oft nur der Schutzwall für einen weichen Kern, in dem auch Tiefen schlummerten. Ich danke Dir für Dein Vertrauen, dass Du mich manchmal hast hinein- und hinabblicken lassen, damit ich besser verstehe, was Dich umtreibt und was Dich zu dem Menschen gemacht hat, der Du warst. Denn wir haben nicht nur zusammen ein paar meiner Gespenster verscheucht, wir haben auch manche Deiner alten Kisten aufgemacht, die Du eigentlich vor langer Zeit für immer geschlossen hattest. Bei manchen haben wir zusammen den Inhalt vom Staub der Zeit befreit, die Dinge gemeinsam betrachtet, eingeordnet, zurückgelegt und den Deckel wieder geschlossen. Bei anderen hat Dich allein die Beschriftung davon abgehalten, das Schloss aufzumachen. Oft hast Du mir trotzdem grob vom Inhalt erzählt und ich habe akzeptiert und verstanden, warum Du ihn nicht hervorholen willst.

Dich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, war ohnehin nicht Dein Ding. Bescheidenheit, Loyalität und die Fähigkeit, nach Tiefschlägen wieder aufzustehen – das warst Du. Und wenn Du jetzt sehen würdest, wie ich hier sitze und um Dich weine, würdest Du mich unsanft in die Seite boxen und sagen, „Mädchen, hör auf zu flennen, ich kann das gar nicht ab.“

Vielleicht gelingt mir das nicht sofort, aber irgendwann, hoffe ich. Du hast immer gesagt, „schau mich an, ich werde nicht alt“. Ich wollte nicht, dass Du Recht behältst, aber Du hast halt wirklich immer gerne Recht behalten. Ich bleibe also hier und halte die Stellung, Großer. Und Du machst es Dir auf Deiner Wolke bequem und rollst ab und zu die Augen, wenn ich mal wieder eine dringende Frage an Dich hätte, legst die Stirn in Falten und murmelst „hab ich Dir denn gar nichts beigebracht, Mädchen? Sowas weiß man doch“.  Ich vermisse Dich, alter Freund. See you, würdest du sagen. Oder noch viel eher „Hau rein“. Mach ich. Versprochen.

Das Geheimnis ewiger Jugend – 2. Move your … you-know-what

Es könnte ein frühkindliche Prägung sein, aber der Wald ist mein happy place. Habe ich Kopfweh – geh ich in den Wald. Hab ich Bauchweh – geh ich in den Wald. Bedrückt mich etwas – geh ich in den Wald. Sorgen – Wald. Gut, bei Hunger und Durst hilft es jetzt eher weniger, aber nach dem Weg zum Kühlschrank hilft Wald meistens auch wieder. Das Rezept ist einfach: Ich laufe so lange, bis es wieder gut ist. (Wenn’s beim Laufen immer schlimmer wird, ist es der Blinddarm, aber dann ist der Wald ja immerhin auch diagnostisch wertvoll).

Worauf will ich hinaus? Beweg Dich! Der menschliche Körper ist nicht für Schreibtischarbeit gemacht, sonst wären wir sitzend geboren. Joggen, Walken, Nordic Walken, spazieren, rückwärtsgehen, wurscht: Bewegung ist DAS Allheilmittel für ganz viel für mich. Ich habe das große Glück, fast im Wald zu wohnen, ich brauche nur zur Tür raus und nach 500 Metern bin ich auf dem freien Feld und habe die ganze Alb zur Auswahl. Mittlerweile, Corona sei dank, kenne ich ziemlich viele Wege und jedes Reh beim Vornamen. Aber das macht es nicht fad.

Letztes Jahr habe ich beschlossen, dass ich mehr Bewegung brauche. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, am Jahresende 1000 km auf der Uhr zu haben. Am 31. Dezember war ich zum letzten Mal unterwegs und stand bei 1001,1 km. Dieses Jahr werden es 1111km. Nicht nur, weil ich mir beweisen will, dass ich das kann, sondern, weil ich erkannt habe, dass Laufen und Walken etwas mit mir macht.

Es fördert die Konzentration, die Ausdauer und die Kondition, es kräftigt den Körper und die Lunge und gleichzeitig bringt mich die Waldluft völlig runter. Es sei denn, zwei Rehe stehen urplötzlich vor mir auf dem Weg, wir starren uns geschockt zwei Sekunden an und die Vierbeiner nehmen Reißaus, während mein Puls durch die nichtvorhandene Decke geht. Aber das ist das bisschen Restrisiko, mit dem man leben muss in der Wildnis.

Was aber immer immer ist: Es geht mir gut, wenn ich nach Hause komme. Matsch an den Laufschuhen, Matsch an der Laufhose aber rote Wangen und Glück im Herzen. Und das hält neben der Infarktprävention, der Osteoporoseprävention und ganz vielen anderen positiven Nebenwirkungen eben auch jung. Also: Raus mit Euch.

Zum Nachlesen hat übrigens auch der Spiegel einen interessanten Bericht über die Wirkung von Waldluft veröffentlicht. Sag ich ja.