27/9/23 – Das zähe Luder!

Ich

Wer viel mit Texten zu tun hat oder viel redet, vertippt oder verspricht sich eben auch manchmal – heute morgen habe ich gegackert, als der Referent des Oberbürgermeisters von (eigentlich ernstes Thema, nämlich:) einem Brand in einer Obdachlosenunterkunft in der vergangenen Nacht berichtete. Am Schluss versicherte er „dass die Bewohner aber mittlerweile anderweitig umgekommen sind. … UNTER! UNTERGEKOMMEN! OGOTT!!“

Das erinnerte mich daran, dass eine Stadtplanerin zu einem Baugebiet vor einiger Zeit in die Sitzungsvorlage geschrieben hatte, falls die geplanten Bauplätze nicht ausreichten, weil mehr Interessenten als gedacht da wären, es zu „bedarfsgerechten Erschießungen kommt“. So löst man Probleme sehr endgültig. 😉

Auch wir Redakteure sind vor Fehlern nicht gefeit. Und manchmal spielen uns dann auch noch die Korrekturprogramme einen Streich: So habe ich beispielsweise im letzten Moment noch gemerkt, dass das Korrekturprogramm aus einem Ortsnamen „Zellhaufen“ gemacht hatte. Und ein Kollege hat versehentlich einen Feuerwehrmann in seinem Text zum „Löscheimer“ statt zum Löschmeister befördert. Dessen Freude hielt sich tags drauf in Grenzen.

Job

Ich startete den Arbeitstag also einigermaßen erheitert und das ist in meinem Job jetzt auch nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit zur Zeit. Ich übe mich in maximaler Gelassenheit, die Auszeit ist nah. Und bis dahin versuche ich, noch möglichst viele Geschichten ins Blatt zu kriegen. Heute morgen ist mir beispielsweise bewusst geworden, wie viel Zeit in der täglichen Konferenz auf der Strecke bleibt, in der wir uns so oft in kleinteiligen Grundsatzdiskussionen verlieren, weil jeder zu allem eine Meinung hat. Und sie dann auch mitteilen muss.

Meine Tochter hat einmal in der Woche eine Stunde Zeit für einen Klassenrat. Womöglich wäre diese eine Stunde pro Woche für Diskussionen viel wertvoller, als sie jeden Tag aufs Neue zu führen. Aber was weiß ich schon.

Den Satz des Tages formulierte heute die gute Seele unseres Hauses so treffend: „Wenn man in dem Laden nicht krank wird, ist man echt ein zähes Luder.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Die Kurznachrichten des Tages:

Gegessen: Eine Banane, einen Teller Spaghetti Puttanesca, einen Teller Pommes. (Oliven und Kapern sind auch Gemüse!)

Gelaufen: Die Hunderunde, heute mit Hund (nicht meiner) spaziert. 8300 Schritte sind vollbracht, mehr werden’s heute nicht mehr.

Gelesen: Mails, eigene Texte, fremde Texte. Und mails.

Gefreut über: Den kurzen Plausch mit meinem Lieblingsitaliener, den digitalen Austausch mit lieben Menschen. Auch ne Erkenntnis – wenn ich an dieser Stelle drüber nachdenke, was mich gefreut hat, sind es sehr oft Menschen. Womöglich bin ich gar nicht so soziophob, wie ich immer dachte.

Geärgert über: Nichts. Allenfalls darüber, dass ich so gerne einen Little-Mammut-Marsch mitgelaufen wäre, aber der Termin überhaupt nicht passt. Aber das ist jetzt wirklich Jammern auf hohem Niveau.

26/9/23 – Von Chemikern, Komikern und ethischen Kindern

Ich

Ein Buch schreiben, acht Wochen nach Italien verreisen, endlich die ungelesenen Bücher lesen, die im Regal darauf warten, ein Fernstudium beginnen, als Gast Vorlesungen besuchen, jedes Zimmer im Haus entrümpeln oder – schlafen. Auf meine Frage, was ich mit elf Wochen Freizeit anstellen soll, kamen viele produktive Vorschläge. (Nur das mit dem Schlafen hat mich ein bisschen irritiert, ich meine, elf WOCHEN … wofür haltet ihr mich, einen Bären?) Vielleicht mache ich auch etwas ganz anderes und reiße damit die Weltherrschaft an mich, wer weiß das schon.

Im Grunde liegt Schreiben schon sehr weit oben auf der Wahrscheinlichkeitsskala, mein Leben besteht einfach zu einem Großteil genau daraus, denn ich habe die Weichen mal ganz bewusst so gestellt. Heute morgen durfte ich jemanden kennenlernen, der sich für einen ganz anderen Weg entschieden hat und freiwillig (!) Chemie studiert hat. Ich lauschte eine Weile staunend seinen Ausführungen und ließ mir erklären, warum er sich mit seinem naturwissenschaftlichen Background heute für den Klimaschutz einsetzen kann und der Gesellschaft etwas zurückgibt.

Mir ist dabei bewusst geworden, wie viele Lebensentwürfe es eigentlich gibt und wie fragil doch die Linie ist, für die man sich selbst entschieden hat. Einmal anders abgebogen und schon würde ich jetzt als studierte Japanologin alte Schriftstücke übersetzen. Oder so. Oder womöglich mit meinem südamerikanischen Mann Gitarrenunterricht geben. Oder auf Sylt in einem kleinen Laden dänisches Porzellan an Touris verkaufen. Es war haarscharf. Aber es kam dann eben so, wie’s kam: Ich bin Lokalredakteurin geworden und schreibe über studierte Chemiker. Aber vielleicht kann ich in meinen knapp elf Wochen Auszeit ja mal so tun, als wäre ich wo anders abgebogen und mal gucken, wie es hätte sein können. Auf Probe.

Wir

Heute hat das Tochterkind vom ersten Religionsunterricht an der neuen Schule erzählt. Ein paar Kinder sind evangelisch, ein paar katholisch. „Und drei sind ethisch“, sagte sie. Stirnrunzelnd. (Warum gibt es für Mathe eigentlich kein Ausweichfach? Fragen, die sich auch nie jemand stellt… )

Job

Die Arbeit ist das kleinste Problem am Ganzen. Fürs Drumherum ist es schwer, Worte zu finden. Also lass ich’s. Work-Life-Balance und so.

Die Kurznachrichten des Tages:

Gegessen: Eine Banane zum Frühstück, Nudeln mit Tomatensoße (reichlich), ein Pain au Chocolat und ein Brötchen mit Käse, Ei und Alibi-Grünzeug drauf.

Gelaufen: Knapp 3km gegangen und auf dem Weg zu meinem Interview gefühlt nochmal zwei, weil es ein Missverständnis beim Treffpunkt gab.

Gelesen: Wieder nur eigene und fremde Texte und Sitzungsvorlagen.

Gefreut über: Die Tatsache, dass ich mit meinen Tagebüchern (eine persönliche, kleine Kolumne der Redakteure) offenbar den Nerv der Leute treffe und immer wieder Mails dazu bekomme und darauf angesprochen werde. Es ist mir wirklich eine Herzenssache geworden.

Geärgert über: Lassen wir’s. Vielleicht sollte ich wirklich in einem kleinen Laden auf Sylt dänisches Porzellan verkaufen.

25/0/23 – 9 1/2 Wochen kann ja jeder …

Ich

„Wenn gar nichts mehr geht, dann geh ich.“ Ich halte mich seit Jahren an diesen Rat: Wann immer sich die äußere Situation nach Käfig anfühlt, der Druck scheinbar unausweichlich immer größer wird, dann brauche ich Bewegung. Sollte ich im nächsten Leben als Hamster wiedergeboren werden, dann reiche man mir wenigstens eins Hamsterrad. Früher bin ich stundenlang gewandert, heute laufe ich. Nachdem der fiese Schwindel, der mich gestern so eingeschränkt hat, heute morgen so gut wie weg war, hatte ich richtig Lust auf Cardio. Also habe ich erst fünf Kilometer joggenderweise hinter mich gebracht und saß danach auf meinem Ergometer. Ich hatte das Gefühl, dass ich strampelnd am besten den Frust abbauen kann, der sich aufgestaut hatte. 17 Kilometer später war ich klatschnass, so dass ich mir sicher war, alle toxischen Gedanken der letzten 24 Stunden einfach ausgeschwitzt zu haben. Außerdem hatte ich mein Bewegungsdefizit von gestern auch gleich wieder ausgeglichen.

Bewegung hilft mir immer, wenn ich müde bin, wenn ich ratlos bin, wenn ich gestresst bin, wenn ich mich krank fühle – es scheint, als würde durch die Bewegung alles in Gang gesetzt und in Fluss geraten, was es braucht, um Heilungsprozesse jeglicher Art anzustoßen.

(Dem Hirn hilft es offenbar nur bedingt, denn während ich heute morgen noch verkündet hatte, es gebe heute Gnocchi, hatte ich bei Einkaufen an alles gedacht – nur eben nicht an Gnocchi.)

Und siehe da …

Job

… nur wenige Stunden nach meiner Auspower-Aktion platzte auch der Knoten, der mich hier seit Wochen plagt. Entscheidungen standen aus, wurden verschoben, letztlich anders getroffen. Aber jetzt ist es klar: Ich muss meine aufgestauten freien Tage und meinen überschüssigen Urlaub bis 31.12. nehmen. Ich muss, ich darf, ich werde. Die Urlaubsanträge sind heute mittag genehmigt worden. Was für mich unglaublicherweise bedeutet: Der 18. Oktober ist mein letzter Arbeitstag für dieses Jahr.

Und weil ich in meinem Arbeitnehmerleben wohl kaum jemals wieder in die Lage komme, gut zehn Wochen am Stück freizuhaben – was tun mit dem Lebenszeit-Segen? Ich brauche ein Projekt, dass ich etwas aus dieser besonderen Zeit für mich mitnehmen kann. Ideen, anyone? Verreisen im großen Stil fällt aus, weil da meine Familie wohl nicht begeistert wäre. Aber so ein Wochenende? Das Deutsche Sportabzeichen? Ein Stück Pilgerweg? Kraulen lernen? How go get rich and famous in ten weeks? Im Moment bin ich einfach nur erschöpft von dem ganzen Hin und Her, aber in den nächsten Tagen fällt mir garantiert etwas ein, womit ich zehneinhalb Wochen füllen kann. Sagte ich’s schon? ZEHNEINHALB! WOCHEN!

Die Kurznachrichten des Tages:

Gegessen: Ein Müsli mit Hüttenkäse und Blaubeeren, eine Nudelpfanne mit Gemüse (und eben keine Gnocchis, weil Hirnschwund), Rührei

Gelaufen: 5km, 17 km geradelt, 10 Minuten Booty-Workout mit Pamela Reif (WIE? geht das??)

Gelesen: Ein paar Sätze in „Schlüssel 17“ von Marc Raabe

Gefreut über: Offensichtlich, dass der Schwindel weg ist und dass mir eine recht unverhoffte Auszeit bevorsteht

Geärgert über: Nix mehr. Heute über nix mehr. Auch mal schön.

24/9/23 – Kopf hoch – oder lieber nicht

Ich

Ich kenne mich gut genug, um zu wissen, wann’s gut ist. Mein Körper sagt mir bei Gelegenheit Bescheid, wenn er findet, es sei jetzt an der Zeit, an gewissen Stellschrauben zu drehen. Vor einem Jahr hatte ich plötzlich Blutdruckspitzen, die Panikattacken ausgelöst haben, aber das habe ich mittlerweile im Griff. Neuerdings informiert er mich daher über plötzlichen Schwindel darüber, dass das Nervenkostüm leichte Löcher aufweist. Sprich: Ich stehe morgens auf (und nein, es ist nicht der Kreislauf) und kann nicht nach unten gucken oder den Kopf in den Nacken legen, ohne dass sich die Welt um mich herum zu drehen beginnt. Ich kenne Lagerungsschwindel vom linken Ohr, der fühlt sich aber anders an. Schneller, heftiger. Das, was mich grade plagt, ist eher so ein diffuser Schwankschwindel, der auch wieder vergeht, wenn ich stur nach vorne gucke. Arbeiten geht also, lustigerweise. Vielleicht ist ein Nerv geklemmt, vielleicht leidet die Halswirbelsäule unter Verspannungen. Kennt das jemand? Ist nicht schlimm, nervt aber. Wär jetzt nett, wenn jemand sagen würde, „hatte ich auch, ging von selbst wieder weg und kam nie wieder.“ Anyone?

Job

Ein Wochenenddienst neigt sich dem Ende zu, ich warte nur noch auf Fotos. Mein Satz des Tages stammt heute von einem freien Mitarbeiter, der ein Böllerschießen beschrieb. „Zur Sicherheit wurden die Versager und überschüssiges Pulver gemeinsam abgeschossen.“ Ich hoffe, mit Versager sind Blindgänger und Rohrkreppierer gemeint. Perlen des Lokaljournalismus, es gibt sie wirklich. 🙂

Ansonsten: Die Spannung steigt von Tag zu Tag, ich hänge nämlich ordentlich in der Luft, was meine Urlaubsplanung für den Rest des Jahres angeht. Wie in den letzten Tagen schon erwähnt – auch das nervt. Wahrscheinlich macht mich mein Gedankenkarussell einfach schwindlig.

Die Kurznachrichten des Tages:

Gegessen: Ein Müsli, eine Schüssel Gemüse mit Shrimps und Hirse

Gelesen: Viele, viele Texte für die morgige Print- und Onlineausgabe meines Arbeitgebers.

Gelaufen: Aktuell knapp 600 Schritte. Sag mir, dass Du Wochenenddienst hast, ohne mir zu sagen, dass Du Wochenenddienst hast. Ich geh gleich noch ne Runde um den Block. Ne Runde, haha, you spin me round, round, baby right round…

Gefreut über: Den netten Co-Dienst-Kollegen und meine zwei freien Mitarbeiter, auf die heute mal wieder Verlass war. (Ihr merkt’s, Menschen können mich schon auch glücklich machen, nicht nur rasend.)

Geärgert über: Den Schwindel, wobei das sicher kontraproduktiv ist. Ich lass es und vertrau drauf, dass es aufhört. Und bis dahin… huiiiii ….

23/9/23 – Skip it, da kommt die Frau vom Bau!

Ich

Als ich das rosa Ding auf Instagram gesehen habe, hatte ich kurz Schnappatmung. Die Kinder, die in den frühen Neunzigern so wie ich etwa zehn, elf, zwölf Jahre alt waren, kamen um das pinke Sportgerät gar nicht herum: Man steckt ein Bein in eine Schlaufe und schwingt damit eine runde Kugel am Ende einer Plastikschnur um das Bein herum, um mit dem anderen darüber zu hüpfen. Wie Seilspringen, nur horizontal. Meine Eltern hatten mir damals versprochen, dass wir im Urlaub so ein Hüpfdings kaufen, allerdings war es in allen Spielwarenläden Bayerns vergriffen. Jeder hatte ein Skip-it, nur ich nicht. In einem Tante-Emma-Laden, in dem es neben Spielwaren auch Bierdeckel, Schürzen, Fliegenklatschen, Kakaopulver, Mehl, Wäscheklammern und Porzellanfigürchen gab, ergatterten wir damals dann schließlich überglücklich (ich) und erleichtert (meine Eltern) ein pinkes Skip-it. Ich hüpfte den gesamten Urlaub durch und auch daheim war das Ding ein heißgeliebtes Spielzeug. Und neulich sehe ich auf Instagram, das man heute noch hüpfdingst! Ich musste natürlich sofort eins bestellen (allein der Nostalgie wegen) und seither hüpfen meine Tochter und ich damit zur Freude der Nachbarn auf dem Hof herum.

(Ich hab’s vor lauter Freude morgens um viertel nach sechs in der Küche ausprobiert, aber als die Plastikkugel laut scheppernd über den Parkett rollte und an Küchenfronten und Stühle donnerte, war mir und dem restlichen Haus klar, dass das eher ein Spielgerät für draußen ist. Servicehinweis, bitte gerne.) Manchmal war früher halt doch nicht alles schlecht.

Wir

Der erste Tag in der Apfelsaftproduktion ist überstanden, ich habe quasi alles vergessen, was ich letztes Jahr noch aus dem FF konnte. Keine Sorge, in zwei Wochen bin ich wieder fit. Hoffe ich. Kleine Anekdote am Rande: Als ich heute morgen von Kopf bis Fuß in Engelbert-Strauß-Montur aus dem (etwas verratzten) VW-Bus meines Mannes kletterte und Richtung Bäcker marschierte, begegnete mir ein morgendlicher Brötchenholer mit den Worten „Jetzt kommt die Frau vom Bau“. Habe beschlossen, das so stehen zu lassen. Street credibility und so.

Die Kurznachrichten des Tages:

Gegessen: Unrühmliche Bilanz des Tages – eine Banane, eine Brezel, eine halbe Mohnschnecke und ein Plant-Based-Irgendwas bei Burger King. Erwähnte ich die Banane?

Gelesen: Nix, tatsächlich. Nix nennenswertes.

Gelaufen: Nein, aber die Schritte in der Moste vollgemacht.

Gefreut über: Freundliche Kundschaft, Trinkgeld, das Miteinander im Familienbetrieb.

Geärgert über: Dem Profit geopferte Kundenzufriedenheit an anderer Stelle, die ich mit persönlichem Einsatz (und entgegen einer in meinen Augen unsinnigen Anweisung) aufgefangen habe. „Ziviler Ungehorsam ist eine Form des sehr entschlossenen Protests auf Basis einer Gewissensentscheidung.“ Genau so.

22/9/23 – Gluckenalarm

Ich

An manchen Tagen weiß ich, dass die Laufrunde am Morgen der Teil des Tages sein wird, der mich am angenehmsten anstrengt. Was danach passiert, ist anders zehrend. Dass der Spagat zwischen Mamasein und Beruf an manchen Tagen besser gelingt als an anderen – geschenkt. Aber heute wurde ich durch einen Anruf im Büro so schnell in den Gluckenmodus katapultiert, dass ich nicht einmal Zeit hatte, meiner Kollegin zu erklären, wohin ich entschwinde. Long story short: Das Kind hat neuerdings ein Handy, auf selbigem ist eine App, die die Nutzungsdauer reguliert, so dass sich Muttern nicht über maximale Bildschirmzeiten den Mund fusselig reden muss und unnötig weitere graue Haare riskiert. Diese App verfügt über eine Ortungs-Funktion. Und weil mein Mann das Handy der Tochter aus reiner Neugier heute mittag ortete an einem Ort, wo es seit heute morgen um halb neun definitiv nicht mehr sein sollte (nämlich an einer Bushaltestelle), machte ich mich dort leicht panisch auf die Suche nach einem roten Rucksack, einem verlorenen Kind oder einem aus dem roten Rucksack gefallenen Handy. Ich fand – nichts davon. Allerdings weiß man als Redakteurin auch, wie hartnäckige Recherche funktioniert und nur fünf (!) Telefonate später hatte ich mein leicht verstörtes Kind am Telefon, das auf Schulausflug grade beim kollektiven Spaghetti-Essen gestört und an den Apparat gebeten wurde. Das Handy war … da wo es hingehört, in ihrem Rucksack. Wer auch immer diese Ortungsapps programmiert hat, weiß, wie man Frauen von 0 auf 180 bringt. Ich habe mir geschworen, die Orterei künftig bleiben zu lassen und darauf zu hoffen, dass mein Kind weiß, was es tut. Ohne Handy ging’s ja auch. Aber meine Nerven …

Job

Im Westen nichts Neues, die großen, ungelösten Fragen sind noch immer groß und ungelöst. Da sie maßgeblichen Anteil daran haben, wie sich der Rest des Jahres für mich entwickelt, wäre mir eine Lösung echt arg recht. Ansonsten: Es war ein Tag wie viele. Eigentlich gut Planbares kam ungeplant, weil Kollegen ihre eigenen Kalender pflegen aber nicht oder erst kurz vor knapp kommunizieren, dass und wann man selbst darin vorkommt, immerhin hat meine geplante Geschichte geklappt (für die ich an meinem freien Tag die Recherche erledigt hatte, weil ich manchmal auch nicht aus meiner Haut kann).

Die Kurznachrichten des Tages:

Gegessen: Zum Frühstück eine ungeplante Brezel, die beim ungeplanten Interviewtermin übrig blieb, danach Sushi und Teigtaschen, deren Namen ich vergessen habe. Das eigentliche Frühstück, ein Joghurt, entdeckte ich heute Abend auf meinem Schreibtisch und verputzte ihn als Spätstück.

Gelesen: Nur Texte der Kollegin und meine eigenen. Und die Beschreibung einer Ortungs-App weil wegen.

Gelaufen: Nein, aber 13,1 km auf dem Rad gestrampelt, das zählt auch.

Gefreut über: Eine nette Begegnung beim Abendtermin, ich werde mittlerweile an meinen Schuhen erkannt. („An ihren Schuhen sollt ihr sie erkennen!“)

Geärgert über: Mich selbst, dass ich mich so schnell habe ins Bockshorn jagen lassen. Andererseits: Ich bin halt Mama. Ansonsten darüber, dass die Dinge, die für mich enorme Relevanz haben, SOOO LAAANGSAAAM GEHEN.

21/9/23 – Was der TÜV mit meinem Leben zu tun hat …

Ich

Kennt ihr das Gefühl, wenn man beim TÜV (oder der Dekra, your choice) mit einem viel zu heißen Automatenkaffee in einem viel zu dünnen Plastikbecher in der Hand im Warteraum sitzt und pustend hofft, dass alles gut geht? Obwohl man beim Anfahren dieses Klappern hört? Obwohl in Linkskurven ein merkwürdiges Rauschen zu hören ist, wenn man die Musik leiser dreht? Das Gefühl, dass innendrin etwas nicht so läuft, wie es soll, auch wenn man noch nicht genau versteht, was?

Nun, mein Arbeitsleben sitzt offenbar gerade beim TÜV. Es kündigen sich subtil und nicht ganz so subtil Veränderungen an, die unausweichlich sind, mit denen man sich abfinden muss. Oder eben darüber nachdenken muss, ob man das kann. Veränderungen, die unterschwellig längst zu spüren sind, aber für niemanden so recht greifbar. Zahnräder knirschen ungut, die Tachonadel saust nach oben und fällt nach unten, die Bremse klemmt und der Tank ist gefühlt dauernd leer.

Weil ich ganz schlecht umgehen kann mit Schwebezuständen, belastet mich vieles, was ich noch nicht einmal benennen kann. In erster Linie die Unberechenbarkeit der Situation, das Gefühl, Passagier auf einem Schiff zu sein, das einem Geisterschiff gleich einen Kurs einschlägt, den niemand von der Besatzung kennt. Ich habe keine Angst, über Bord zu gehen. Ich bin ein sicherer Schwimmer und der nächste Hafen wäre nicht weit. Aber ich wüsste gerne, wohin wir steuern. Und vor allem: ob ich dort überhaupt anlegen möchte. Ich übe mich in Geduld, einmal mehr.

Wir

On a more positive note: Das gar-nicht-mehr-so-kleine Kind hat auf die weiterführende Schule gewechselt und ist in den ersten zwei Wochen innerlich mehrfach über sich hinausgewachsen. Ich höre Sätze, die mich staunen lassen, wie „Ich habe mich mit Lena angefreundet“ und „Englisch macht voll Spaß“ … zumindest da läuft alles offenbar reibungsloser als erwartet.

Ansonsten steht eine Apfelsaison an, die es zwar nicht gut mit den Obstbauern aber gut mit uns meint, was die Arbeitsbelastung angeht. Zwölf-Stunden-Schichten und Sechs-Tage-Wochen scheint es dieses Jahr nicht zu geben.

Die Kurznachrichten des Tages

Gegessen: Bisher nur ein Müsli mit Banane und Blaubeeren, dazu einen Milchkaffee, heute Mittag gibt’s, weil kein Meckerkind am Tisch, Veggie-Bolo …

Gelaufen: 3,4 Kilometer, neue Strecke, doofer Schotter, doofe Hügel, dafür schöne Aussicht und vielleicht lauf ich da mal wieder, die Strecke kann für meine Hirnknoten ja auch nix.

Gelesen: https://www.instagram.com/p/CxaS_i2Mriw/ und mich gegruselt dabei, sie hat (leider) so Recht.

Gefreut über: Nette Begegnungen diese Woche, die oft meinen Tag gerettet haben.

Geärgert über: Siehe oben und dann habe ich mich ganz schnell wieder diszipliniert und es gelassen. Wegen weil.

Gedanken zum Montag – der Homo Nörgelensis

Leise, fast unbemerkt, scheint sich in den vergangenen Jahren eine invasive Art in Deutschland verbreitet zu haben. Unter den Homo sapiens sapiens, den verständigen Menschen, also den, der sich seines Verstandes bedient, hat sich der Homo nörgelensis gemischt. Eine Art, die scheinbar sehr schonend mit der Ressource Verstand umgeht, möglicherweise auch aus Ressourcenknappheit heraus sparsam damit umgehen muss.

Der Homo nögelensis unterscheidet sich äußerlich nicht vom Homo sapiens und ist daher auch nur am Verhalten von diesem zu unterscheiden. Gibt er Laut, fällt die Unterscheidung jedoch ausgesprochen leicht. Der Homo nörgelensis fühlt sich am Wohlsten dort, wo er seinesgleichen trifft, das ausgeprägte Rudelverhalten lässt sich in Kommentarspalten sozialer Medien besonders gut beobachten. Kommt es dort zu einer Durchmischung der beiden Unterarten, sieht man recht schnell, dass der Homo sapiens dem Homo nörgelensis unterlegen ist. Während der Homo sapiens sich um Argumente bemüht und immer zu neuen Erklärungen in möglichst einfacher Sprache ansetzt, auf Fakten verweist und vergeblich an den Verstand des Homo nörgelensis appelliert, hat der leichtes Spiel: Er hat nämlich Recht.

Hat der Homo nörgelensis einmal ein Thema für sich gefunden, erkennt der Beobachter rasch eine Herdenbildung. Der Homo nörgelensis ernährt sich von Zustimmung Gleichgesinnter, die sich, bedenkt man das weitgehende Fehlen von Verstand, erstaunlich rasch im Feindbild einig sind. Bevorzugte Beute ist für den Homo nörgelensis, alles, was ihm „von oben“ aufgedrückt wird. Seine misstrauische, gar feindliche Haltung gegenüber allem, was Behörden, staatliche Einrichtungen oder andere Machtinstitutionen anordnen, zeigt sich im aggressiven Sozialverhalten. Hinter Entscheidungen vermutet der Homo nörgelensis die grundsätzliche Bösartigkeit der Entscheidungsträger, sein Weltbild scheint geprägt davon, das Opfer willkürlicher Beschlüsse zu sein, denen er sich fügen soll. Dass Amtsinhaber, geleitet von einem Verantwortungsgefühl, an Aufgabenstellungen herangehen und Enscheidungen sorgsam abwägend treffen und eben nicht danach, wie sie dem Homo nörgelensis möglichst großen Schaden zufügen, scheint gänzlich außerhalb dessen Vorstellungsvermögen. Der Homo nörgelensis sieht sich in der Opferrolle und ist grundsätzlich erst einmal dagegen. Gegen alles. So richtig. Gerne auch crossmedial.

Um seinen Unmut über seine Situation möglichst jedem begreiflich zu machen, wettert der Homo nörgelensis gerne in sozialen Medien gegen alles, was ihm diesen Aufwand wert scheint. Neuerungen, Neuanschaffungen und Neubauten findet der Homo nörgelensis grundsätzlich unnötig und klagt über die Verschwendung von Steuergeld. Er malt dytopische Zukunftsbilder vom „kleinen Mann“, der stets gegeißelt und geschröpft wird. Dabei verhält er sich äußerst kreativ. Öffnet ein neuer Laden, moniert der Homo nörgelensis das Warenangebot. Schließt ein Laden, bedauert der Homo nörgelensis den grundsätzlichen Niedergang der Wirtschaft. Erweitert ein Amt seine Öffnungszeiten, beklagt der ewig Klagende die Unfreundlichkeit der Angestellten, werden die Schalterzeiten gestrafft, missfällt ihm freilich die Bürgerunfreundlichkeit. Findet ein Festival statt, stören die Menschenmassen, die Lautstärke, der schiere Anblick der Gäste (und was das alles KOSTET!), wird es abgesagt, sind die wahren Gründe bestimmt bei „denen da oben“ zu suchen, die den bemitleidenswerten Veranstaltern den Garaus machen wollten. Bietet die Stadt kostenlose Parkplätze an, sind es grundsätzlich zu wenige, gibt sie Geld für Kunst aus, hat sie wohl das Haushalten verlernt und sowieso immer den Arsch offen.

Dem Homo nörgelensis ist es völlig egal, was in den Artikeln der ohnehin obrigkeitshörigen Presse steht, unter denen er seinen Hass auskübelt. Denn zum Lesen und Verstehen scheint wiederum nur der Homo sapiens sapiens in der Lage zu sein, der sich interessanterweise nicht gerne dort aufhält, wo der Homo nörgelensis lautstark wütet.

Dass die Population des Homo nörgelensis in den Jahren der Pandemie stark zugenommen hat, ist ein subjektiver Eindruck und kann nicht wissenschaftlich belegt werden. Sicher ist jedoch, dass beim Homo nörgelensis die Lebensfreude gemessen an der Lebenszeit in einem starken Missverhältnis steht. Weil sich der Homo nörgelensis als eine invasive Art zeigt, also in Konkurrenz um Lebensraum und Ressourcen zum Homo sapiens sapiens tritt, und ihn zu verdrängen droht, ist einzig und allein das Abstandhalten als Vorsichtsmaßnahme zu empfehlen. Oder um die Autorin, die sich mit Grundlagenforschung zum Homo nörgelensis beschäftigt, zu zitieren: „Ain’t nobody got time for bullshit.“

Gedanken zum Donnerstag – der soziale Akku

„Mein sozialer Akku war einfach leer“, sagte eine Lieblingskollegin neulich und beschrieb das Gefühl, sich jetzt sofort einfach zurückziehen zu müssen, um nicht am Rad zu drehen. Ich hörte ihr zu und wusste im selben Moment ganz genau, wie sie sich gefühlt hatte. Der soziale Akku – die Energie, die uns mit anderen interagieren lässt, uns zuhören, kommunizieren, mitdenken lässt. Und das nach Möglichkeit nicht nur auf der passiven Seite, sondern auch noch eloquent, witzig, geistreich, empathisch. Ich habe mich sofort verstanden gefühlt, allerdings ist mir das schöne Bild mit dem Akku noch nie in den Sinn gekommen.

So sehr ich meinen Beruf liebe, der mich jeden Tag mit Menschen zusammenbringt, so sehr mag ich auch die Abkehr von allem. Mir begegnen, ob ich möchte oder nicht, freundliche Menschen, unfreundliche Menschen, genervte Menschen, fordernde Menschen, unzufriedene, kritisierende, egozentrische. Natürlich auch sehr viele nette. Die besten Kollegen habe ich ohnehin.

Und dennoch ertappe ich mich manchmal dabei, wie ich abends nach einem wuseligen Redaktionsalltag ins Auto steige, die Musik leiser drehe und froh bin, dass ich endlich stumpf vor mich hindenkend (gerne an nichts), alleine so rumsitzen und fahren kann. Manchmal ertrage ich dann sogar nicht mal mehr einen Nachrichtensprecher, weil ich das Gefühl habe, ich müsste ihm der Höflichkeit halber zuhören. Geht aber nicht mehr, Akku leer, Kopf voll.

Und während ich so über den sozialen Akku nachdachte, fiel mir Corona ein. Wenn man versuchen möchte, einer Pandemie irgendetwas Gutes abzutrotzen, bei all ihrer Schrecklichkeit und dem Leid, das sie über viele gebracht hat, dann, dass es eine Zeit des nichts-müssens war. Von jetzt auf gleich waren alle Termine weggefallen. Weder gab es in der Redaktion Pressegespräche noch gab es Ausstellungseröffnungen, Konzerte, Gemeinderatssitzungen in Präsenz oder Theaterabende, noch wurde man zu Geburtstagen oder Jubiläen oder Grillfesten eingeladen, ging nicht in den Italienischkurs und nicht in den Klavierunterricht.

Nicht falsch verstehen, all das ist schön und hat seine Berechtigung und hat vielen auch gefehlt. Aber wenn ich ehrlich bin – diese plötzliche Freiheit, die Freizeit wieder ganz neu verplanen zu können, sich fürs Innehalten nicht rechtfertigen zu müssen und nicht als langweiliger Stubenhocker zu gelten … ein bisschen vermisse ich sie schon. Und ein bisschen erinnere ich mich mit Wehmut an sie, wenn ich den privaten und beruflichen und schulischen Terminkalender übereinanderlege und sehe, wie die Lücken zwischen Pflicht und Kür plötzlich wegschmelzen. Wie mein Hirn mir vorrechnet, dass ich am Mittwoch hier und am Donnerstagabend dort sein muss und am FREITAG erst…

Und alle, die jetzt sagen, ja aber der Mensch ist doch ein soziales Wesen, Corona hat viele auch in Depressionen versinken lassen – völlig richtig. Aber halt nicht jeden. Ich war so gerne mit mir und meiner Familie alleine und habe nicht einen einzigen Tag gedacht, jetzt wär ich gern in einem vollen Freizeitbad. Womöglich gehöre ich zu dem Schlag Menschen, die sich selbst sehr gerne mögen und sehr gut mit sich allein sein können. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich mit Freude alleine wandere oder jogge – wandern gern auch in Gesellschaft, geht aber auch gut als me, myself, the Rucksack and I.

Weil es aber natürlich durchaus stimmt, dass Menschen nicht für ein Eremitendasein gemacht sind und ich keinesfalls riskieren möchte, zur schrulligen alten Frau zu werden, die mit dem morgendlichen Müsli die besten Gespräche führt und mit dem Postboten nur noch nickend durchs geschlossene Fenster kommuniziert, sehe ich zu, dass ich meinen Akku in ruhigen Zeiten randvoll auflade, um dann kommunikativ, unterhaltsam und witzig zu sein, wenn es gebraucht wird. Vielleicht bin ich im Grunde meines Herzens ein introvertierter Mensch, für den das Mit-sich-sein der Normalzustand ist und soziale Interaktion die Besonderheit. Ich wähle daher mit großem Bedacht aus, wer mir auf den Akku gehen darf. Und die richtigen Menschen geben ohnehin immer ein bisschen mehr Energie ab, als sie ziehen. Und die sind immer willkommen.

Gedanken zum Montag – Tausend Jahre

Als neulich das Gespräch im Bekanntenkreis auf alte Fernsehsendungen kam, sagte jemand „kennt ihr noch die Serie ‚Es war einmal der Mensch‘?“ Da war dieser weise Mann mit dem langen Bart, der Sägen, Bücher und ganze Einbauküchen aus selbigem ziehen konnte, und diese vielen kleinen Helferlein, die erklärten, wie der menschliche Körper von innen aussieht und funktioniert. Irgendwann summte jemand die Titelmelodie von Udo Jürgens dazu: Tausend Jahre sind ein Tag.

Das Lied, beziehungsweise diese Zeile, begleitet mich seither, denn mittlerweile gehöre ich wohl dank etwas fortgeschrittenen Alters auch zu denen, die ständig betonen, wie schnell die Zeit doch plötzlich vergehe. Vermutlich ist das was Genetisches, das automatisch mit dem vierzigsten Geburtstag aktiviert wird. Grade noch in den Tag hineingelebt, zack, „Kinder, wie die Zeit vergeht“. Grade noch war Silvester, dann haben wir uns über den fehlenden Schnee im Januar (Kind wollte doch endlich Skifahren) beklagt, ich bin so doof aufs Knie gestürzt (und überambitioniert zwei Tage später joggen gewesen), dass sich meine Patellasehne im linken Knie beleidigt enzündet hatte, dann hatte ich in der Redaktion Fasnetsdienst, dann war März und wir haben neue Fahrräder gekauft (und sind reihum einer fiesen Grippe erlegen), das Knie und ich waren endlich wieder Freunde, jetzt ist April und der ist auch schon wieder fast vorbei. Die Wochen, es scheint wirklich so zu sein, fliegen dahin.

Liebgewonnene Menschen sind aus meinem Leben gegangen, aus eigenen Stücken, im Zorn leider. Unnötigerweise auch. Ich habe leise die Tür hinter ihnen geschlossen, weil der Streit auf der Türschwelle nur dafür sorgt, dass es kalt wird. Und das möchte ich nicht. Aber auch hier – die Zeit lässt Gras wachsen.

Ich kann nicht verhindern, dass die Tage, Wochen, Jahre dahinrasen. Aber als ich neulich einem älteren Kollegen zuhörte, musste ich unweigerlich schmunzeln. Er sprach von Arbeitszeitmodellen und sagte mit einem süffissanten Unterton, dass er noch aus einer Generation stamme, in der work-life-balance ein Fremdwort war. Er sagte es so, als sei es eine seltsame Marotte der U-50-Belegschaft, überhaupt an ein Leben außerhalb der Arbeit zu denken. Teilzeit als eine Art eitler Verweigerung. Wer etwas auf sich hält, für den sind die 40 Stunden im Arbeitsvertrag lediglich eine Mindest-Empfehlung, die zu toppen gewissermaßen ehrenvolle Pflicht ist, will man seinen Job richtig machen.

Gesagt hat niemand etwas. Aber das innere Stirnrunzeln war förmlich zu hören. Vielleicht, dachte ich mir, haben sich die etwas jüngeren Kollegen die älteren „Vorbilder“ mit der Arbeitsmoral eines Zinnsoldaten genau angesehen. Und vielleicht konnte einfach niemand von ihnen etwas Erstrebenswertes darin finden, mit Mitte 30 an Bluthochdruck zu leiden und mit Mitte 40 einen latenten Burnout wie eine Lunchbox jeden Tag ins Büro mitzuschleppen.

Vielleicht machen die ihren Job viel richtiger, die ihre Kräfte nach eigenem Gusto richtig einteilen, sich Raum geben und nehmen, an anderen Stellen ebenso 100 Prozent zu leisten? Wer weiß schon heute, wie die Generation meiner Tochter mal arbeitet?

Denn die Zeit vergeht für uns alle gleich schnell. Und wie viel jeder von uns davon hat, weiß niemand. Die Frage, die jeder für sich beantworten muss, ist, was er mit der Zeit anfangen möchte, die ihm gegeben ist.

Ich habe vor einiger Zeit den Sport für mich entdeckt. Ich, die 40 Jahre lang glaubte, Sport sei etwas für andere Menschen. Ich würde nicht behaupten wollen, zu den ambitionierten Freizeitsportlern zu gehören, ich habe zum Beispiel keinerlei Lust auf Wettkämpfe oder darauf, mich mit anderen zu messen. Es geht mir dabei viel eher ums Zwiegespräch mit mir. Wenn ich laufe, wenn ich das richtige Tempo finde, laufen meine Gedanken auf wundersame Weise neben mir her, biegen ab, kehren zurück, machen Umwege, nehmen Abkürzungen, bringen mich auf freier Strecke zum Schmunzeln oder zum Grübeln. Wenn ich nach Hause komme, habe ich ein … sagen wir gut durchblutetes Gesicht, müde Beine und fühle mich wunderbar ausgepowert. Ganz ehrlich – selten hatte ein Tag in der Redaktion einen ähnlichen Effekt auf mich, wenngleich meine Kollegen für mich sowas sind wie eine Woche Ibiza in Personalform.

Gestern haben wir ein paar Kilometer mit den neuen Mountainbikes gedreht. Und da hatte ich ganz kurz das Gefühl, dass sich die Zeit auch zurückdrehen kann: Nämlich als ich johlend bergab über einen matschigen Waldweg schoss und geradeso zwischen zwei tiefen Pfützen hindurchgezirkelt kam. Ich hatte danach Hosenbeine wie ein Erdferkel und Herzklopfen vor lauter Adrenalin, aber … es war ein Glücksmoment, der mich gefühlt um Jahre zurückgeworfen hat.

Und ich glaube, in meiner altersbedingten Weisheit, dass ich diese Momente sammeln möchte. Diese Momente, an denen gefühlt die Zeit kurz stehen bleibt, die sich einbrennen in mein Hirn. Um dann auch wieder Kraft und Lust zu haben, die restliche Zeit am Schreibtisch alles zu geben.

Was ist Zeit?
Was ist Zeit?
Was ist Zeit?
Was ist Zeit?
Ein Augenblick
Ein Stundenschlag
Tausend Jahre
Sind ein Tag