Ich ging über die Brücke und schaute nach unten ins Wasser und überlegte, wie ich das felsige Ufer wohl zeichnen könnte, als es passierte – ich verlor mit einem Mal jeglichen Halt und stürzte in die Tiefe. Ich zuckte zusammen, wurde schlagartig hellwach und wusste, ich hatte nur geträumt, aber etwas anderes war leider kein Traum: Das Schlafzimmer, dessen Realität an die Stelle der Traumbrücke gerückt war, wirbelte vor meinen offenen Augen im Kreis herum, als würde mich in riesiger Strudel in die Tiefe saugen.
Von Montag auf Dienstag erlebte ich etwas derart Skurriles, das mir Wert scheint, es mit Euch zu teilen.
Ich lag also im Bett, kniff die Augen zu und wartete, bis der Schwindel aufhört. Nach wenigen Sekunden fuhr das Karrussell langsamer, dann kam es zum Stillstand. Das Schlafzimmer tat wieder das, was es nachts um halb vier tun sollte: Verdammt nochmal ganz still stehen. Ich drehte mich vorsichtig auf den Rücken. Was zum Geier war das denn? Ich lauschte in mich hinein. Kreislauf schloss ich aus, meine Beine waren sogar eher hochgelagert, mein Puls ging völlig ruhig und rhythmisch. Ich wartete. Nichts passierte. Und gerade, als ich mich nach einer guten Stunde soweit beruhigt hatte, dass ich hätte wieder einschlafen können, fing es wieder an – ich wirbelte ohne Vorwarnung samt Bett und Kopfkissen im Kreis herum, dass jeder Rummelplatz-Fahrgeschäftbetreiber vor Neid erblassen würde. Ganz ohne Fahrchip.
Mit Schlafen war es dann erstmal vorbei. Ich stand vorsichtig auf und trank ein Glas Wasser. Dann ging ich wieder ins Bett. Ohne Vorkommnisse. Aber ein zaghafter Blick ins Sprechzimmer von Dr. Google gab mir einen ersten Hinweis auf diesen plötzlichen Schwindel: Es könnte sich, wenn er durch eine bestimmte Kopfhaltung reproduzierbar ist, um einen Lagerungsschwindel handeln. Dieser wird durch winzige kristalline Steinchen im Ohr ausgelöst, die herumschwirren, wo sie nichts zu suchen haben. Beim Frühstück probierte ich es aus. Drehte meinen Kopf nach rechts – nichts. Aber nach links und etwas hinten – huuuuuuiiii!
Der Vormittag ging dank meines leicht verkrampften Geradeausguckens schwindelfrei vorbei. Mittags hätte ich mich gerne zehn Minuten hingelegt, aber schon wenige Zentimeter Richtung Horizontale sorgten wieder dafür, dass meine Umgebung ungut Fahrt aufnahm. Und dann beschloss ich, einen Bewegungsablauf auszuprobieren (bevor ich den Hausarzt konsultieren müsste, um nicht die nächsten Nächte im Sitzen zu verbringen).
Das sogenannte Lagerungsmanöver nach Epley klingt zwar zunächst wie eine Kriegslist, ist aber in Wirklichkeit viel simpler. Mein Mann las mir vor, was zu tun ist, während ich auf dem Badboden seine Anweisungen befolgte. Kleiner Tipp: Boden ist eine gute Idee, dann ist man wenigstens schon mal unten. Was auf den Bildern völlig entspannt aussieht, ist für den Betroffenen nämlich eine irre Achterbahnfahrt. Ich habe nach den ersten 30 Sekunden gewusst, dass die Schwindelsache grade nochmal ganz neue Dimensionen annimmt, aber wenigstens wurde mir nicht schlecht, wie es viele andere beschreiben … Kopf überstrecken, nach links drehen und hinlegen. Und während mein Mann die Sekunden quälend langsam herunterzählte und ich längst vergessen hatte, wo oben und unten ist und überhaupt in welcher Galaxie ich mich befand, müssen diese Steinchen in meinem Ohr verrutscht sein. Ich drehte den Kopf nach rechts und erneut wirbelte die Milchstraße umher, ich bin mir sicher, die Mongolei rauschte kurz am Badfenster vorbei und als mein Mann mich schließlich komplett auf die rechte Seite schickte, begegnete mir ein Kreuzfahrtschiff, auf dem grade Donald Trump an der Seite von Dr. Epley persönlich im Ufo landete. Kopfüber.
Nach anderthalb Minuten war der Spuk vorbei, ich durfte mich aufsetzen. Es dauerte mindestens eine weitere Minute, bis sich meine Finger aus dem Flausch des armen Badvorlegers lösten, bis der Griff vom Badschrank vor mir aufhörte, sich unkontrolliert zu bewegen und ich die Stimme meines Mannes wieder seinem statischen Bild zuordnen konnte.
„Und, besser?“, fragte er. Ich legte mich probehalber auf den Rücken. Und kniff die Augen zu. Aber – nichts passierte. Die Welt blieb völlig entspannt stehen. Lieber Dr. Epley: Post mortem meinen herzlichsten Dank für ihre Schwindelforschung. Die Kristalle im Ohr (Diamonds are a girls best friend, DIAMONDS, nicht CRYSTALS) sind offenbar dorthin ausgelagermanövriert, wo sie mein Gleichgewichtsorgan nicht stören. Und sollte der Schwindel wiederkommen, weiß ich mir zu helfen. Aber ich verzichte gerne auf eine Wiederholung.