08/11/23 – Tag 22 – Von einer, die heute mal rantet – Stadtbild, Staus und Schulsystem

Ich

Mittwochmorgen, Viertel vor acht. Eine Mutter fährt ihr Kind in die Stadt zur Schule. So beginnen unsere Tage in dieser Woche. Montag, Dienstag, Mittwoch. Das Problem dabei: Jenes Kind besitzt eine Busfahrkarte, hat aber genau eine Anbindung morgens vom Dorf in die Stadt. Und zwar zwei Minuten nach sieben, was dazu führt, dass sie um viertel nach sieben am Gymnasium aussteigt und, bei Entfall der ersten Stunde, bis halb neun dort wartet. Oder aber Mama fährt. Elterntaxis werden abfällig Helikoptereltern zugeschrieben, meist von Leuten, „die früher sechs Tage die Woche in die Schule gelaufen sind. Durch den Schnee. Mit 20 Kilogramm Bücher und Biwakausrüstung. Barfuß und an der Front vorbei.“

Im Ernst – ich würde dem Kind jederzeit die 13 Minuten Busschaukelei zumuten, wenn es a) nicht eine gute Stunde in einem Schulflur sitzen müsste (jaja oder in der Mensa, aber halt sinnlos) weil ich mit dem Jugendticket zwar einen bunten Reigen an zusätzlichen möglichen Fahrten en bloc gekauft habe für ganz BW, aber nur eine Verbindung für die Strecke angeboten wird, die ich wirklich benötige… um 7.02 Uhr … und b) nicht jeder Tag abweichend vom eigentlichen Stundenplan ablaufen würde. Das ist kein Stundenplan, das ist allenfalls eine unverbindliche Themenempfehlung mit Raum- und Zeitvorschlag. Sicher, für erkrankte Lehrkräfte kann niemand was, aber wenn es wochenlang an keinem einzigen Tag funktioniert, ist das Problem größer als ein verschnupfter Mathelehrer. Gesundheit. Vielleicht sollte ich mir überlegen, einen Fahrdienst zu gründen. Ein Eltern-Uber. Oder besser Unter, wie unterirdisch.

Erzähler: Und beim abendlichen Blick in die App stellte sie fest, dass sie auch morgen wieder den Fahrdienst übernehmen würde. Für Freitag werden noch Wetten angenommen.

Vom einen Gemaule zum nächsten, oder fangen wir lieber mit dem Highlight des Tages an – ich habe mich heute Vormittag mit einer lieben Bekannten getroffen, die mir das Internet vor Jahren vor die Füße gespült hat: zu blog.de-Zeiten habe ich Kristina kennengelernt und wir haben uns dann auch im echten Leben getroffen. Und nie aus den Augen verloren, auch wenn uns Bundesländer trennen. Gemeinsam mit ihrem zuckersüßen Sohn saßen wir heute morgen in Tübingen beim Kaffee.

Weil ich bewusst eine Stunde früher dort war, sammelte ich ein paar Schritte in der Stadt. Und jetzt mal ehrlich: Ich war über zehn Jahre nicht dort und für die nächsten zehn reicht’s auch wieder. Woher Tübingen sein Selbstbewusstsein nimmt, ist mir ein ehrliches Rätsel. Zieht man die durchaus renommierte Uni, das Klinikum und ein paar hübsche, bunte Fassaden ab, bleibt nicht mehr viel. Ja, die Altstadt ist historisch und ja, wer enge Gassen und schiefe Treppen mag, wird dort aufseufzen. Spätestens, wenn er übers löchrige (ach ne, historische!) Kopfsteinpflaster stolpert. Aber bei aller Folklore: Die Stadt ist dreckig, der Zustand der Straßen (ganz abgesehn von der teils kreativen Verkehrsführung) in der 2. Reihe ist eine Katastrophe (Flickwerk scheint trendy), das zentral gelegene Parkhaus am Neckar ist heruntergekommen und architektonisch völlig überholt (man wartet in einem uneinsichtigen Sackgasseneck auf den Aufzug, der 2 Personen oder eine Ménage a trois fasst, die mit Nähe kein Problem hat, oder nimmt das beschmierte Treppenhaus, das olfaktorisch an das Elefantenklo der Wilhelma erinnert). Radfahrer haben absolut Berechtigung in Innenstädten, in Tübingen allerdings bin ich zwei mal innerhalb einer Stunde von zwei Radlern ohne Licht, Klingel oder Verstand fast über den Haufen gemäht worden, weil Verkehrsregeln wohl erst ab vier Rädern gelten. Läden öffnen um zehn, die Stadt gibt sich großstädtisch, was zur Folge hat, dass internationale Ketten ihre überall gleich aussehenden Filialen in düstere Mittelaltermauern zwängen. Kann man charmant finden. Oder einfach arg gewollt. Dazwischen: Ein auffallend großer Kosmos aus Flachs, Filz und Fairtrade. Nur festgestellt, wertfrei.

Mein Eindruck war insgesamt ein ernüchterter: Wer Freude an Architekturhistorie und Kultur hat, ist sicher gut beraten, Tübingen mit einem versierten Stadtführer zu erkunden. Genau auf diesem Schatz ruht sich das Städtle offenbar genüsslich aus, denn was vom Image bei genauer Betrachtung bleibt, ist vor allem eins: lauwarme Luft (und wie beschrieben nicht immer wohlriechende).

Nur eines hat mich an Tübingen noch mehr genervt, als die Stadt selbst: Der Verkehr dorthin. Ein humoristischer Straßenplaner mag sich einst gedacht haben, komm, wir bauen eine Bundesstraße vierspurig aus und dann machen wir just bei Bodelshausen dem Ganzen ein Ende, erschaffen ein heilos überfordertes Nadelöhr und packen dann, wenn sich die linke Spur in die rechte einfädeln muss, noch eine Aufschleifung von rechts dazu, die sich gleichzeitig nach links einfädeln muss, das wird lustig. Spätestens, als heute morgen eine alte Dame mit ihrem Smart untermalt von einem Hupkonzert durch die Rettungsgasse rollte, eine dritte Spur schuf, und sich, dem irritierten Blick nach, über das Spalier zu ihren Ehren wunderte, war’s nicht mehr so lustig. Seit 30 Jahren laufen Planungen, vermutlich erlebe ich den Ausbau nicht mehr. Dann fahr ich eben Bus. Wenn denn einer fährt. Und guckt, irgendwie schließt sich hier der Kreis. Dann lass ich’s mit dem Gemecker für heut einfach gut sein.

Die Kurznachrichten des Tages:

Gegessen: Ein Laugencroissant, zwei Teller Gemüseeintopf mit Nudeln, eine Banane mit Hüttenkäse und Erdnussmus, zwei Käsebrote mit Spiegelei. Und ne Hand voll Nachos.

Gelesen: Historische Beschreibungen an Hauswänden. Ansonsten Tageszeitung.

Gesportelt: 3km durch Tübingen

Gefreut über: Kristina und Felix und seine „Donis“ 😃

LaSignorina