Job
Mein Beruf bringt Unwägbarkeiten mit sich. Meistens geschieht dann, wenn man einen guten Plan vom Ablauf der Dinge hat, etwas Unerwartetes, das alles auf den Kopf stellt. Heute Nachmittag meldete sich ein blaulichtbeauftragter Kollege, es habe in meiner Heimathood einen Unfall gegeben, vermutlich größeren Ausmaßes. Auch das ist Lokaljournalismus. Ich ließ also alles Stehen und Liegen und machte mich mit Block, Stift und Handy auf den Weg – als Ortskundige aus der praktikabelsten Richtung. Vor Ort, einer neuralgischen Kreuzung, an der es öfter mal scheppert, stellte sich dann heraus, dass es zumindest keine schwerer verletzten Beteiligten zu geben schien, die Autos waren halt Blechschaden. Nachdem ich kurz mit den Feuerwehrleuten gesprochen habe (man kennt sich auf dem Dorf, musste ich feststellen), machte ich mich auf den Rückweg zum Auto. Mit dem Kollegen am Ohr, dem ich die ersten Details durchgab. Währenddessen hielt ein BMW mit Münchner Kennzeichen neben mir. Der Fahrer schaute irritiert auf das Gewusel aus Feuerwehr, Rettungswagen und Polizeiblaulicht und fragte „Entschuldigung, ist da ein Unfall passiert?“ Kurz war ich versucht zu sagen, dass es sich um die Leistungsschau der hiesigen Einsatzkräfte handle, für die jeden Mittwoch zur Parade eine zentrale Kreuzung gesperrt werde. Aber in Anbetracht der Ernsthaftigkeit der Lage riss ich mich zusammen, bejahte die Frage und riet ihm, möglichst gleich zu wenden. Ich setzte meinen Weg fort. Der Kollege am anderen Ende war derweil unfreiwillig Zeuge des Gesprächs geworden. Nur wenige Augenblicke später stand der BMW, diesmal in umgekehrter Richtung, wieder neben mir. „Entschuldigung, wie komme ich denn jetzt am Schnellsten zur Bundesstraße?“ Ich schluckte kurz. Ich mag noch so ortskundig sein, aber sobald mich jemand nach dem Weg fragt, verwandelt sich mein wohlorientiertes Hirn in eine leere Landkarte und ich kann mir nicht einmal mehr vorstellen, wie es um die nächste Ecke herum aussieht.
Mit einem langgezogenen „Aaaalso…“ verschaffte ich mir etwas Zeit und verlieh meinem hektischen Nachdenken den Anschein, es handle sich um eine wirklich komplizierte Strecke, die ich mir selbst erst einmal zurecht legen müsste. Fast ein wenig von mir selbst überrascht hörte ich mich sagen: „Sie fahren einfach links und wieder links und sind dann ruckzuck wieder da unten an dem Kreisverkehr.“
Der Fahrer bedankte sich, das Auto fuhr los.
Erzähler: Und er sollte in einem Wohngebiet landen und wenn er nicht gestorben ist, so irrt er heute noch darin herum.
Ich schaute ihm nach. Und sah zu, wie der Fahrer den Blinker links setzte. „Jetzt fährt der nach links!“ sagte ich kopfschüttelnd zu dem Kollegen am Telefon. „Haja, warum auch nicht. Hast du ja auch gesagt“, antwortete der. Hatte ich?
Halten wir fest: Ich hatte VIELLEICHT links gesagt. Aber rechts gemeint und auch nach rechts gezeigt. Was kann ich dafür, wenn Mimik und Gestik so gar nichts zählen. (Sollten wir uns jemals im echten Leben treffen, fragt google maps oder die Sternenkonstellation am Firmament, falls ihr von A nach B finden wollt. Aber nicht mich.)
Zurück in der Redaktion, die ich übrigens problemlos und auf Anhieb fand, stellte ich meine Seiten soweit fertig, dass ich mich auf den Weg in den Ausschuss der Verwaltung machen konnte. Und weil ich morgen nicht im Dienst bin, hinterließ ich im Anschluss zwei fertige Texte mit Kommentar (hatte ich mal wieder Lust drauf und Grund zu), machte als Letzte in der Redaktion das Licht aus, holte das Tochterkind ab, begutachtete und kontrollierte Hausaufgaben und atme jetzt einfach mal durch und geh ins Bett. Da weiß ich ganz sicher, wo es steht.
Die Kurznachrichten des Tages:
Gegessen: Hüttenkäse mit Erdnussmuß und Banane, mittags überbackene Rigatoni mit Gemüse, heute Abend ein belegtes Käsebrötchen im Ausschuss.
Gelesen: Eigene Texte. Deutschaufgaben.
Gelaufen: Die Hunderunde spaziert, die heute morgen von einem rosa Wattewolkenhimmel garniert wurde.
Gefreut über: Das Erinnern daran, was ich an meinem Beruf so liebe. Das hatte ich in den letzten Wochen kaum noch erkannt.
Geärgert über: Dies, das, nichts Erwähnenswertes. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr stelle ich fest, dass ich ganz gut ohne Ärgern auskomme.