Ich
Es gibt Menschen, die grundsätzlich sehr gesellig sind und sich gerne mit anderen zusammentun. Bei der Arbeit, in der Freizeit, am Abend, am Wochenende – bei manchen ist immer Action. Vermutlich kennt jeder solche Leute, die sich wie der personifzierte verkaufsoffene Sonntag durchs Leben verabreden. Dann gibt es diejenigen, die quasi gar kein Sozialleben haben, sondern sich nach Dienstschluss aufs heimische Sofa setzen und nichts mehr von der Außenwelt wissen wollen.
Und dann gibt es mich. Die selektiv-soziophobe Hybridvariante, die mit vielen Menschen auf einem Haufen gar nicht kann, mit wenigen, wohlsortierten aber wiederum sehr gut. (Vermutlich hat Corona einen Teil dazu beigetragen, aber wie unangenehm ist es bitte, bei einem Konzert so nah an so vielen fremden Menschen zu stehen, dass man die Schuppen auf deren Schultern zählen, den herausgewachsenen Haaransatz in Millimetern angeben und die Hautunreinheiten in der Falte hinterm Ohr beschreiben könnte? Dass man deren Körperwärme auf der Haut spürt und die Spucke- oder Schweißtröpfchen fliegen sieht, wenn sie mitsingen? WER möchte das? Aber ich schweife ab.)
Ich mag Menschen und soziale Interaktion, aber eben in so dosierter Darreichungsform, dass noch genügend Zeit zum Alleinsein bleibt. Es ist kompliziert. Ich bin wohl eine Art Schroedingers Misanthrop. (Weswegen ich den Lockdown persönlich überhaupt nicht als Einschränkung empfunden habe, endlich war Alleinsein mal the thing to do, aber das ist eine andere Story.)
Heute morgen, nach den ersten Wochen im Apfelsaftbusiness und vielen Kunden und dazwischen noch meinem Job, hatte ich Sehnsucht nach mir. Einfach nur der Stimme in meinem Kopf lauschen (was jetzt sehr nach schrulliger Catlady klingt, aber mei) und mich dabei bewegen. Also machte ich mich auf in den Wald hinterm Haus in der Hoffnung, dass die Sturmschäden mittlerweile soweit beseitigt sind, dass ich nicht den Darwin Award gewinne. Da ich diese Zeilen tippe, ist dem aufmerksamen Leser ohnehin klar, dass mich kein herabkrachender Eichenast erschlagen hat. Ich sag’s bloß: Ich hab aufgepasst.
Ich spazierte einen Waldweg entlang, den ich seit Monaten nicht gegangen bin. Und als die Stimme in meinem Kopf zur Ruhe kam („boah geht das hier weit hoch“, „wie viele Kurven kommen denn noch“, „was hat da gerade geraschelt?“ „Wie viele Kilometer bin ich wohl schon?“ „Oh ein Eichhörnchen!“), war es einfach nur noch gut. Die Sonne glitzerte durch die Äste, es war warm, ich lauschte dem rythmischen Knirschen meiner Schuhe auf dem Schotter und genoss das Alleinsein einfach so sehr. Allein ist nicht einsam, wer einsam ist, leidet unter der Situation. Wer allein ist und das gut kann, tankt Energie und kommt mit sich in den Dialog. Wenn ich allein bin, kann ich Situationen verarbeiten und abhaken, die mir im hektischen Alltag wiederfahren sind und für die es noch keine Zeit gab. Mein Inneres ist wie eine Art Schreibtisch. Wenn ich zu lange keine Ablage mache, wird’s chaotisch.
Ich bin auch schon Menschen begegnet, die gesagt haben, sie könnten nie und nimmer 30 Kilometer allein wandern, weil sie dabei zu sehr ins Grübeln kämen. Vielleicht wäre aber genau diese Form von Seelenhygiene gut und wichtig? Nun ja, Küchentischpsychologie. Mir hilft’s immer wieder. Und nebenbei bewege ich mich auch noch, win-win. Morgen geht’s dann mit dem Apfelsaft weiter und jaaaa, auch mit Menschen. Morgen kann ich das wieder.
Die Kurznachrichten des Tages:
Gegessen: Durcheinander. Nach meinem ausgedehnten Spaziergang heute morgen ein Müsli aus Hüttenkäse, Crunch mit Kokos, Blaubeeren, Feigen und Erdnussbutter. Dann lange nichts und heute Abend eine dreiviertel Pizza mit Brokkoli mit wenig Soße und viel Käse. Habe einen kleinen Käseklumpen im Bauch. Börps.
Gelesen: Die Englischvokabeln der Tochter. ICH kann sie jetzt.
Gelaufen: Knapp 11 Kilometer aber in zügigem Spaziertempo. Es war sooo schön. Sagte ich bereits?
Gefreut über: Das dankbare Gefühl, allein sein zu können, begriffen zu haben, wie ich ticke und was mir guttut.
Geärgert über: Menschen, die andere kritisieren und dabei selbst offensichtlich große Defizite haben. Wer im Glashaus sitzt, sollte einfach die Klappe halten.