28/10/23 – Tag 11 – Vom Besuch eines anderen Kosmos‘

Ich

Heute morgen war ich an einem besseren Ort. An einem Ort, der dem Leben Struktur gibt. Der es in Kategorien einteilt, die klarer nicht definiert sein könnten. Einem Ort, an dem es wohltuenderweise nur richtig oder falsch gibt. Einem Ort, den man mit dem Gefühl verlässt, sein Leben im Griff zu haben. Ich war auf dem Wertstoffhof.

Offenbar haben viele Menschen samstamorgens das Bedürfnis, dieses vollkommene Gefühl des strukturierten Lebens zu erhaschen. Der Frequenz auf dem Parkplatz inmitten der bunten Container nach zu urteilen sogar sehr viele. Wir hatten ein Schächtelchen voll alter Batterien dabei und sehr viele Kartonagen. Allein das Wort „Kartonage“ klingt schon viel schöner als alte Schachteln. Noch schöner klang nur das, was der ältere Herr, der mit seiner Ehefrau (vermutlich) zu Fuß (!) mit einem alten Steinguttopf unterm Arm an unserem offenen VW-Bus vorbeimarschierte, in Richtung der Gattin murmelte: „Gugg au, die hend da ganza Karra voll Babbadeggl.“

Weil wir höfliche Menschen sind, parkten das Tochterkind und ich eben da, wo noch ein freier offizieller Parkplatz aufgemalt war – ganz hinten. Und während wir ungefähr dreizehn Mal mit unserem alta Babbadeggl unter den Armen in Richtung Container pendelten, bleib genügend Zeit, das wuselige Treiben um uns zu beobachten.

So ein Wertstoffhof am Samstagmorgen ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Man findet dort sie dort alle. Darunter …

Der Penible

Er öffnet die Heckklappe seines wie mit der Richtschnur gepakten alten VW Passats in mintgrünmetallic, um sich zu allererst einen von der nicht anwesenden Frau selbst gestrickten Pullunder übers blau-karierte Flanellhemd zu ziehen. Weil ganz schön frisch. Der Pullunder in ocker korrespondiert mit der etwas speckigen Grobcordhose in beige – Kleidungsstücke, die ausschließlich pensionierten Mathe- und Physiklehrern vorbehalten sind. Und dergestalt präsentiert sich auch der Inhalt des Kofferraums. In allen möglichen Farben gestrichene Holzlatten liegen dort mit grober Schnur zu Dreiergruppen gebündelt und warten auf ihren letzten Weg. Daneben stehen zwei Klappkörbe, die mit Labelprinter beschriftet wurden und „Altglas“ und „Altpapier“ beinhalten. Der pensionierte Physiklehrer rückt die Nickelbrille zurecht, orientiert sich kurz und beginnt dann, Holzlatten und Körbe an die jeweiligen Container zu tragen. Nach getaner Arbeit faltet er die Körbe zusammen, zieht die grün-blau-karierte Decke aus dem Kofferraum, die wohl zu dessen Schutz dort ausgelegt worden war, schüttelt den nicht vorhanderen Staub ab, faltet sie vor der Brust zusammen, legt sie auf die Körbe, reibt sich klatschend die Handflächen zweimal aneinander, schließt sichtlich zufrieden die Heckklappe und steigt wieder ein. Den Pullunder behält er an. Aus dem Auto nebenan, einem rostigen Dacia, dessen Grundfarbe vermutlich einmal schwarz war, steigt in diesem Moment…

Der Lebenskünstler

Das Auto ist voll bis unters Dach, aber ein System ist offenbar nur für den Fachmann erkennbar. Für alle anderen sieht es aus, als habe das Auto mit offenem Kofferraum einen Tsunami überlebt und aufgenommen, was angespült wurde. Unter anderem einen halbzerlegten Korbstuhl, zwei Weinkisten ohne Boden, Bananenschachteln voller Holzabfälle, zwei weiße Plastikcampingstühle mit Riss, eine Gardinenstange, die von ganz hinten bis ganz nach vorne zwischen den Vordersitzen hindurch bis aufs Amaturenbrett gereicht hat, alte Blumenübertöpfe mit einem Rest alter Blume drin, alte Dosen, die mehr aus Rost denn aus Weißblech bestehen, leere Farbeimer und und und. Je mehr der Lebenskünstler auslädt, desto mehr wird klar, dass er entweder ein professioneller Hausentrümpler ist oder ein sehr abwechslungsreiches Leben führt. Oder ein sehr chaotisches. Und wie lange es wohl schon dauert. Weil er pfeifend und singend zunächst alles um sein Auto herum stapelt, und sich dabei hin und wieder über die dünnen Hemdsärmel rubbelt, weil ganz schön frisch, sieht es dort in Kürze aus wie am Filmset der Flodders. Zeit, so scheint es, spielt eine untergeordnete Rolle: Für den Lebenskünstler ist der Wertstoffhof weit mehr als eine Entsorgungsstelle. Viel mehr nutzt er die rege Frequenz am Samtagmorgen für den zwischenmenschlichen Kontakt. Denn er kennt offenbar sehr viele Menschen dort, plaudert jedenfalls mit jedem, der seinen immer voller werdenden Parkplatz passiert und tauscht sich aus mit neuen Bekanntschaften über die Nachhaltigkeit von Korbmöbeln. Am Ende schwatzt er seinem Nachbarn jenen kleinen Wohnzimmer-Korbtisch ab, „an dem nur ein bisschen was geklebt werden muss“. Heißt ja nicht ohne Grund WERTstoffhof. Offenbar ist der Besuch nicht allein dazu gedacht, Dinge loszuwerden. Loswerden und zwar schnell will hingegen …

Der Schnösel

… seine zwei Bilderrahmen. Seine schwarze E-Limousine rollt souverän an den parkenden Autos vorbei bis direkt vor den Container mit dem gesuchten Schild. Auf dem Beifahrersitz sitzt eine auftoupierte, blonde Mitfünfzigerin, der das Treiben außerhalb ihrer sicheren Scheiben unheimlich zu sein scheint. Sie sinkt jedenfalls tief in den schwarzen Ledersitz und betrachtet nurmehr über die Türkante hinweg wie aus einem Safarijeep argwöhnisch, gleichzeit aber sichtlich fasziniert, was um sie herum geschieht. Der Fahrer hingegen steigt aus, öffnet die hintere Tür und angelt von dort eine riesige orange Hermès-Tüte. Er stellt sie kurz neben der Fahrertür ab, lächelt ermutigend ins Fahrzeuginnere als wolle er seiner Begleitung Mut zusprechen und schließt zwei Knöpfe seines schwarzen Kaschmirmantels. Weil ganz schön frisch. Dann schnappt er sich die Kordeln der Tüte und geht gradewegs zum Holzcontainer, in den er zwei verschnörkelte Bilderrahmen wirft, die in ihre Einzelteile zerlegt waren. Die Hermèstüte faltet er wieder zusammen und geht schnellen Schrittes, froh, die Expedition überlebt zu haben, zu seinem sicheren, hochmotorisierten Transportmittel zurück und gleitet fast geräuschlos von dannen, noch bevor der Herr des Wertstoffhofs den Parksünder ermahnen kann. Der wendet sich stattdessen jemand anderem zu:

Der Durchmogel-Nörgler

Als der gerade zwei Kartons, in denen offenbar einmal eine Mikrowelle und ein Elektrogrill gewesen sind, in den Kartoncontainer werfen will, ertönt ein markerschütterndes, dumpfes Grollen. Der Chef des Wertstoffhofs, ein bärtiger Hüne in oranger Ganzkörperwarnweste, erhebt lautstark Einspruch. „Styropor ghert net zum Babbadeggl!“, erklärt er. Der Durchmogler im Ralph-Lauren-Polo rollt mit den Augen und fängt an zu diskutieren. Dass die Styroporteile in den Kartons doch sowieso in der Presse kleingedrückt würden, dass am Ende eh alles „im selben Loch verbrannt“ würde, dass das typisch Deutsch sei und wohin uns diese Bürokratie wohl noch bringe. Und außerdem sei es ganz schön frisch, so im T-Shirt. Der orange Hüne bleibt eisern, gemogelt wird nicht. Und so wehklagt und mosert der Nörgler in einer Tour fort, mus Noppenfolie zum Plastikcontainer tragen und darf auch das Plastikpaketband von den Kartons zuppeln. Unter Ächzen und Stöhnen und Schimpfen, versteht sich.

Und dann sind da noch wir. Wir haben unsere Babbadeggl entsorgt und auch für die Batterien die richtige Kiste gefunden. Wir haben auf der markierten Fläche geparkt, nur entsorgt und nichts eingetauscht, keinen Ärger gemacht und am Ende für das Spektakel drei Euro in die Kaffeekasse geworfen. Weil das Erlebnis Wertstoffhof am Samstagmorgen echt Eintritt wert ist.

Die Kurznachrichten des Tages:

Gegessen: Börek mit Spinat und Schafskäse und einen dicken Shake aus Hafermilch und gefrorenen Beeren. Da muss noch mehr gehen.

Gelesen: Nichts. Aber manchmal ist Schreiben besser als Lesen. 🙂

Gesportelt: Auch nicht, ich habe mir gestern den rechten Oberschenkel ein bisschen verzogen und mich heute beim Apfelsaft-Großputz genug bewegt.

Gefreut über: Die Saison hinter mir und jetzt Zeit für mein Ferienkind zu haben.

LaSignorina