Wie mich ein Deichselstapler daran erinnerte, dass ich nicht Harry Potter bin

Vergangene Woche habe ich Flurschaden produziert. Ich bin mit einem Deichselstapler über den Hof gefahren und wollte an einem Auto vorbei, dessen Heckklappe offenstand. Unten hat es gut gereicht, die Frage des Herrn, ob er beiseite fahren sollte, verneinte ich. „Reicht schon“, sagte ich. Souverän. Lächelnd. Selbstsicher. Bis der Stapler mit einem ohrenbetäubenden Knall zum Stehen kam. Denn während die Gabel auf dem Boden elegant und mit ausreichend großer Entfernung um das Heck des Autos biegen wollte, blieb der Mast am Kofferraumdeckel hängen. Sein Eck war nach innen geknickt. Ich meldete den Schaden also unserer Versicherung.

Vorgestern kam ein Schreiben. Ich sollte den Vorgang noch einmal genauer beschreiben.

Soweit nachvollziehbar. Getroffen hat mich allerdings diese Frage:

„Weshalb ist Ihre Ehepartnerin gegen das Fahrzeug gestoßen?“

Nun. Weshalb. Ja, WESHALB DENN. Ich holte tief Luft … und verkniff mir, folgendes zu schreiben:

Es war ein nebliger Tag im September. Einer jener Tage, an dem die feuchte Kälte der milchigen Nebelschwaden, die wie Smog über dem Dorf hingen, einem in die Kleidung hineinkroch, einen frösteln ließ. Der Himmel war von einem monochrom-hellen Grau, es lag eine seltsam dumpfe Stille über dem Ort. Allein das Surren des Deichselstaplers durchtrennte diese Stille auf fast sonore Art.

Während ich meiner Wege ging und meine eintönige Arbeit verrichtete, versank ich immer mehr in meinen Gedanken. Wie lange würde ich heute noch, im Geiste mit Sysiphos geeint, mit meinem FaBa ESG 1000 Paletten von einer Stelle an die andere verräumen? Wie war ich überhaupt hier her gekommen? Und wo war meine Kindheit geblieben, in der ich doch erst gestern barfuß durch blühende Wiesen gerannt war und rein gar nichts von der Last des Erwachsenenlebens geahnt hatte? In der ich stunden-, ja tagelang zurückgezogen in meinem Jugendzimmer verbracht hatte, in Bücher vertieft?

Wehmütig dachte ich an mein geliebtes Bücherregal und zog den Zipper meiner Engelbert-Strauß-Jacke hoch und die Nase noch höher. Ich hatte sie alle gelesen, die großen Romane meiner Jugend. Die Kinder von Bullerbü. Die fünf Freunde. Momo. Die unendliche Geschichte. Harry Potter. Ja, was hatte ich die Abenteuer des jungen Zauberers verschlungen, der aus der Knechtschaft seines Onkels fliehen und die Welt der Magie entdecken konnte? Und plötzlich spürte ich die Energie zurückkehren, ich würde wie der junge Harry Potter meiner grauen Welt entschweben, ich würde allen Mut zusammennehmen und wie Harry am Bahngleis neundreiviertel mit dem Kopf durch die Wand … da holte mich ein lauter Knall und ein schaurig-metallisches Krächzen in die Realität zurück. Und ich musste zutiefst ernüchtert feststellen: Ich bin nicht Harry Potter. Mein Deichselstapler ist kein fliegender Besen und ein schnöder Kofferraumdeckel ist stärker als die Wände am Bahngleis neundreiviertel. Das Blech war so geknickt wie mein Selbstbewusstsein und jetzt stehe ich da, an diesem nebligen Tag im September und bitte höflichst um Regulierung des Schadens, dessen Zustandekommen ich hoffentlich ausführlich genug geschildert habe.

Stattdessen schrieb ich (mit leisem Bedauern): „Sie war auf den Fahrweg am Boden konzentriert, um nicht gegen das Auto stoßen und übersah dabei die Höhe des Mastes des Hubwagens und dessen Kollisionskurs mit dem Kofferraumdeckel.“

Und jetzt warte ich gespannt, was als nächstes passiert.