Ich
Manchmal glaube ich, mein Hirn ist ausgestattet, wie eine alte Apotheke – voller Türchen, Schublädchen und Schränkchen. Es ist alles gleichzeitig da: Du musst ein Geburtstagsgeschenk aus dem Korb im Spielwarenladen für den Geburtstag von Pia-Petronella kaufen; Du musst das Rezept bei deinem Hausarzt bestellen – und abholen; Wir brauchen noch Brot für morgen; Die Kinder wollen am Wochenende Marshmallows grillen; Die Rechnung muss überwiesen werden; Du brauchst einen TÜV-Termin fürs Auto; Du musst Frau Schröder eine Mail schicken und einen Termin für ein Interview vereinbaren; Am Dienstag ist ein Pressegespräch gleich morgens im Rathaus; Der Kontaktlinsenreiniger geht aus; Das eigene Kind hat ja auch schon wieder Geburtstag (was ist wohl gleich gut wie ein Hund, ohne ein Hund zu sein?); Am Freitag hat das Kind Aktionstag und muss erst zur zweiten Stunde dort sein; Die Tintenpatronen gehen aus; Für den Kunstunterricht brauchen wir Eierkartons; Der Mann braucht einen Frisörtermin UND WANN WAR NOCHMAL DER TERMIN IM NAGELSTUDIO?!
Je nach Bedarf öffnen wir Schubladen und schließen sie wieder, holen Infos aus dem Schränkchen links oben und legen sie ins Erledigt-Fach links unten. Es ist ein Wust, eine Fülle an Dingen, die wir auf Kommando abrufen können. Und manchmal sind es auch Gedanken, die sich einem aufdrängen, die man ausführlich begrübelt aber zu keinem rechten Schluss kommt. Für die gibt’s, wie in jeder gescheiten Apotheke, einen Giftschrank, der sich leider meistens ungefragt öffnet und seinen Inhalt auf den Boden spuckt. Wo man es dann mühsam immer wieder aufwischt.
Manchmal habe ich einfach keine Lust mehr auf dieses Hamsterrad. Aber seit ich laufen gehe, habe ich ein Ventil gefunden, eine kurze Zeitspanne, in der mein Hirn Urlaub macht und ich einfach nur mechanisch funktioniere. In dieser Zeit hängt meine Apotheke am Ladegerät, was aus den Schubladen hängt, ordnet sich, was aus den Türen quillt, sortiert sich zurück. Der Giftschrank ist in dieser Zeit hermetisch verschlossen. Laufen ist, auch in kurzer Distanz, zur Auszeit für mich geworden, in der ich und meine Gedanken nur mir gehören.
Und heute passierte folgendes: Ich schreckte bei einer Runde, die ich noch nie gelaufen bin, ein Reh auf. Es stand plötzlich am Wegrand, wir starrten uns ein paar Zehntelsekunden an und dachten vermutlich beide „oh, scheiße“. (Jedenfalls hat das Reh so geguckt.)
Es trabte ohne große Eile vor mir auf dem Schotterweg entlang. Immer, wenn ich um eine Biegung kam, lief es weiter, als hätte es auf mich gewartet, um zu sehen, ob ich wirklich immer noch da lang komme. Es verließ den Weg nicht und schien zu hoffen, ich würde das stattdessen tun. Tat ich aber nicht. Als ich es fast eingeholt hatte, machte es sich letztlich doch auf ins Gebüsch.
Um es aus dem philosophischen Blickwinkel zu betrachten – wenn einen Gedanken nicht in Ruhe lassen und immer wieder auftauchen, einen einholen und nerven, ist es vielleicht nötig, den Weg zu verlassen, auf dem diese Gedanken unterwegs sind? Vielleicht ist die Richtung im Gebüsch erstmal unklar, aber womöglich ist die Wiese dahinter grüner? Ich denke darüber nach. Genug philosophiert für heute.
PS: Der Gedanke an die Geldscheine in meiner Schaffhos‘, der mich seit neulich nachts um kurz vor drei verfolgt, lässt mich auch nicht los. Stand der Dinge: In der Hose war nur ein Schein, der andere ist weder in der Trommel noch im Gummiring der Maschine, nicht im Trockner, in der Wäsche oder im Flusensieb des Trockners aufgetaucht. Ich bin da einem ganz großen Ding auf der Spur.
Die Kurznachrichten des Tages:
Gegessen: Spaghetti mit Karotten und Zucchini, dazu einen grünen Salat mit Tomate und Mais, eine Banane, ein Stück Zwiebelkuchen (beste Jelena!), eine Nipponreiswaffel.
Gelesen: Vertretungspläne, Einkaufszettel, Auftragszettel, nix Spannendes.
Gelaufen: 2,3 Kilometer Hirnwäsche-Runde mit Bambigarnitur.
Gefreut über: Den Besuch der Kollegin aus dem Lieblingsteam, das war mein soziales Highlight heute. Und den Spruch meiner Beinaheelfjährigen, als ich sie ermahnte, heute bitte pünktlich ins Bett zu gehen. „Och neee, ich wollte doch noch meditieren!“ (Was man halt so tut mit elf, wenn man nicht ins Bett will.)
Geärgert über: Dinge, die ich nicht ändern kann, Dinge, die ich nicht einschätzen kann, Dinge, von denen ich nicht weiß, was sie konkret für mich bedeuten. Eigentlich kann ich den Ärger darüber grad auch lassen, ne?