Ich
Alte Menschen, so dachte ich früher, sind die, die einen Mittagsschlaf halten. Heute weiß ich – ich lag entweder falsch oder ich bin alt. Heute morgen stand ich vor neun auf mit dem dringenden Bedürfnis, einen Kaffee zu trinken und einmal schnell die nächtlichen Ansammlungen all dessen, was mit der Rüsselpest zu tun hat, wegzuschneuzen (keine Details, versprochen). Und nach Spülmaschine, Waschmaschine, Trockner und Rumräumaufgaben, die man eben so nebenbei erledigt weil einer muss ja, hatte ich das ebenso dringende Bedürfnis, mich wieder hinzulegen. Und so schlief und döste ich weitere anderthalb Stunden über die Mittagszeit hinweg, um danach gefühlt in einem anderen Jahrhundert eines anderen Planetensystems wieder aufzuwachen.
Im Lauf des Tages stellte ich weitere Zeichen zunmehmenden Alterns fest. Erstens meinen Hang zu Printmedien. Zwar habe ich e-Books heruntergeladen, aber noch keins davon je zu Ende gelesen. Ich liebe es, Bücher in der Hand zu haben, zu blättern, Eselsohren hineinzuknicken als Lesezeichen (pscht! Ich darf das, sind ja meine Bücher!) und sie überall im Haus herumzutragen. Manche Bücher zeigen später mit welligen Seiten, dass sie längere Zeit über Feuchtigkeit ausgesetzt waren, keinesfalls, weil sie in einem modrigen Keller gelagert, sondern weil sie in der Badewanne gelesen wurden. Büchern geht nie der Akku aus und wenn sie in die Wanne fallen, sind sie nicht sofort hinüber.
Ähnlich geht es mir mit der Zeitung. Wer zu meinen jüngeren Kollegen gehört, sollte an dieser Stelle das Programm wechseln, mich aber jedenfalls nicht für schrulliger als gedacht halten, denn auch bei Zeitung bin ich noch immer sehr an das Medium aus Papier gebunden. Ich weiß, dass Onlinemedien inhaltlich nicht weniger wertvoll, nicht weniger gut recherchiert, nicht weniger seriös aufgearbeitet sind. Mein Verstand weiß das. Mein Bauch hingegen hängt am Knisterpapier, an den schwarzen Fingern beim Blättern, am von-hinten-anfangen-zu-lesen, am Falten, am Ausschneiden und Aufheben.
Weil: Ich bin offenbar wirklich alt. Zum ersten Mal beschleicht mich das leise Gefühl, nicht mehr zur Generation zu gehören, die auf dem Laufenden ist. Die intuitiv tut, was moderne Menschen eben tun. Die auf der Höhe der Zeit ist. Zum ersten Mal fühle ich mich ein kleines bisschen wie ein Reisender aus einer anderen Zeit, der sich den neuen Kontinent anguckt, ohne sich wie ein Indigener zu fühlen.
Einerseits ist das ausgesprochen seltsam. Andererseits öffnet es den Blick für die Generationen, die jeden Tag noch von viel weiter anreisen in diese heutige Zeit, für die Apps auf dem Smartphone Böhmische Dörfer sind, die den Wetterbericht in der Tagesschau sehen wollen, um tags drauf von Regenschauern überrascht zu werden, von denen gestern noch nix im Fernsehen kam. Ich komme nicht von ganz-weit-weg. Nicht von vorgestern. Aber vielleicht von gestern Spätabends. Als man noch Texte von Disketten gezogen hat, als man schwarz-weiß-Filme mühsam im Dunkeln über Gitter gewickelt und sie tastend in Entwicklerflüssigkeiten getunkt hat. Als man irreversible braune Sprenkler auf T-Shirts hatte, wenn der Deckel jener Behälter in die Flüssigkeit geplatscht ist, als man fluchend auf Laborböden herumtastete, weil die Filmrolle runtergefallen war.
Wenn ich das meinen jüngeren Kolleginnen erzähle, gucken sie mich an, als würde ich von meiner Kindheit im ersten Weltkrieg erzählen. Ich habe in Redaktionen gesessen, in denen Kette geraucht wurde. Ich bin durch Drucksäle gelaufen, habe Klebeumbrüche begutachtet und meine Ausdrucke zwischen Aschenbecher und Bierflaschen gelegt. Ich habe Lieder aus dem Radio auf Kassette aufgenommen und weiß heute noch, wenn eines davon auf dem Oldiesender läuft, an welcher Stelle der Moderator reingequatscht hat. Ich habe in Röhrenfernseher geguckt, die nach dem Ausschalten noch lange knisterten und wenn man mit dem Finger den Bildschirm berührte, weiße Punkte fabriziert haben. Und wenn heute jemand sagt, „das ist jetzt auch schon 15 Jahre her“, denke ich an irgendwas in den Neunzigern. Um festzustellen, dass Menschen, die 2005 geboren wurden, längst Autofahren dürfen.
Alles hat seine Zeit, offenbar. Und eigentlich ist es nicht schlimm, all diese Geschichten erzählen zu können, wie so ein Fossil. Es zeugt davon, dass der Fahrtenschreiber schon einiges dokumentiert hat, mehr, als manch anderem überhaupt vergönnt ist. Also bin ich dankbar für das, was war und so offen wie ich eben kann, für das, was kommt. Meine Tochterkind ist immerhin eine sehr stabile Verbindung in diese neue Welt, wenn ich dann mal im richtig peinlichen Alter bin, wo ich gar nichts mehr verstehe. So richtig … goofy halt.
Die Kurznachrichten des Tages:
Gegessen: Gruselige Bilanz – angefangen mit Hüttenkäse, Blaubeeren, Banane und Kokoscrunch, dann eine Kaki. Dann ein Brötchen mit Käse und grad noch ein Brot mit Käse. Das warme Mittagessen ist einfach ausgefallen. Eine Schande.
Gelesen: Einen herrlichen Artikel in der SZ, ansonsten ein bisschen quer durchs Netz.
Gesportelt: Nope. Immer noch Rüsselpestschonzeit.
Gefreut über: Alle Geburtstagsgeschenke fürs Kind beisammen zu haben. Und so langsam über die Erkenntnis, dass ich frei habe. Es sickert langsam in mein Bewusstsein durch.
Geärgert über: Nichts heute. Man wird halt auch altersmilde.