Ich
Protokoll einer Nacht.
Gestern, 21 Uhr: Das Kind wird ins Bett geschickt.
21:15 Uhr: Das Kind wird daran erinnert, dass es auf dem Weg ins Bett war. Kann man ja schon mal vergessen, beim Umziehen, mit einem Buch in der Hand. Unter Murren zieht es den Schlafi an und putzt die Zähne.
21:30 Uhr: Das Kind sitzt auf meiner Couch und hat sein schier unstillbares Interesse für das deutsche Müllerhandwerk entdeckt: Gebannt guckt es eine Dokumentation auf einem dritten Programm, an der ich nur zufällig hängen geblieben bin. „Mama, das ist SO spannend!“
21: 45 Uhr: Unter erneutem Murren hat es sich in sein Bett gelegt. Die Alexa spielt TKKG.
22:15 Uhr: Dem Kind war das Hörspiel (das so leise war, dass es keiner mitbekommen hat) doch zu gruselig. „Kann bitte jemand zu mir liegen?“ Wir verneinen.
22:30 Uhr: Das Kind hat Durst.
22:41 Uhr: Das Kind muss auf die Toilette und fragt, ob nicht doch jemand … wir verneinen erneut. Vehement.
23 Uhr: Ich liege auf 30 Zentimetern Breite im Kinderbett und frage mich, wie lange es wohl dauert, bis …
23:01 Uhr: … das Kind schläft und …
23:01:30 Uhr: … ich schlafe.
Es kehrt Ruhe ein. Die Stille der Nacht durchbricht lediglich der leise Ruf eines Käuzchens. Alles schläft. Alles? Um …
2:34 Uhr: Das Kind sitzt im Bett und sagt energisch „MAMA!“ Woraufhin ich ebenso ruckartig im Bett sitze, mich ganz kurz frage, in welchem, und dann sage: „Ich bin da, was ist los?“ Darauf das Kind mit vorwurfsvollem Ton: „Es ist alles rund hier!“ Ich gucke im Schein des Nachtlichts an mir herunter und will gerade empört widersprechen, da sagt das Kind „Ich bekomme Kopfweh und Schwindel, wenn alles so rund ist!“ Sprach’s und warf sich zurück in die Kissen. Im Tiefschlaf. Fühle mich, als würde ich neben der Wiedergeburt von Pythagoras sitzen, der gerade die Theorie widerlegt hatte, dass die Erde eine Scheibe sei. Das war sicher auch nachts.
2:40 Uhr: Ich bin wach und beschließe, in mein Bett umzuziehen. Und schlafe zum Glück ziemlich sofort wieder ein.
3:46 Uhr: Das Kind steht im Schlafzimmer und verkündet wie einst der Herr mit den zehn Geboten: „Ich habe Euch die Alexa gebracht.“ Zum Glück hat kein Dornbusch Feuer gefangen. Es legt den runden Echodot (alles ist rund!) auf den Nachttisch und schiebt sich zwischen uns. Das Kind schläft wieder. Ich habe Fragen.
6:10 Uhr: Mein Wecker klingelt und ich hasse ihn.
6:30 Uhr: Ich rufe und locke das und drohe dem Kind und beschließe irgendwann, dass ich es, da ohnehin erst zur zweiten Stunde Unterricht, fahre.
7:15 Uhr: Das Kind stellt philosophische Fragen nach dem Grund des frühen Schulbeginns in Bawü, nach dem Sinn von Musikunterricht und dem Sinn des Lebens überhaupt, und ist – überraschend! – müde. Von dem ganzen nächtlichen Budenzauber weiß es – natürlich – nichts mehr.
Ich hingegen starte in einen Tag, der pickepacke voll ist. Nachdem ich die Motte an der Schule abgesetzt hatte, war ich einkaufen, dann eine schöne Runde laufen. Inklusive Waldverirrung kam ich auf etwa fünfeinhalb Kilometer. Ich erledigte diverse Dinge, fuhr nach Hause, verarbeitete eine Hand voll Äpfel zu einem Apfelcrumble, der backte (buk?) während ich unter der Dusche stand. Zwischendurch kündigte sich erst ein weiteres Mittagessenskind an, dann der Entfall der letzten Stunde (Mama, MATHE FÄLLT AUS! *Der Moment, als alles rund lief).
Ich holte also Kind und Leihkind vom Bus ab, fütterte die Bande mit Gemüse und Reis, reichte einen Applecrumble zum Nachtisch (wie so die Mutter des Jahres) und gab hilfreiche Tipps bei den Mathehausaufgaben. (Und rechnete sicherheitshalber noch drei Mal nach, weil Mathe nie Neigungsfach war aber ich mich nicht schon in Klasse fünf blamieren will).
Wir
Nach der ganzen nächtlichen und morgendlichen Hektik war ich fast ein bisschen glücklich, mich der stupiden, eintönigen Arbeit mit dem Rest der Familie im Apfelsaftbusiness hingeben zu können. Allerdings war ich einige tausend Liter später auch glücklich, es hinter mir zu haben. Und jetzt freue ich mich sehr ernsthaft auf mein Bett. Irgendwie war der Tag tatsächlich rund. Prallvoll, aber rund.
Die Kurznachrichten des Tages:
Gegessen: Das Frühstück ist ausgefallen weil aus viel Zeit plötzlich wenig Zeit geworden war. Stattdessen gab es Zucchinipfanne mit Reis und Feta, danach ein bisschen Applecrumble. Einen Haferriegel eines namhaften Müsliherstellers, dessen Werbung allein aufgrund ihrer Grottigkeit schon funktioniert (wir alle wissen, wer gemeint ist). Lecker lecker lecker lecker! Eine Feige, zwei Bananen und grade vorhin noch einen Tomaten-Thunfisch-Salat mit einer Scheibe Brot und eine kalte Pizzaecke von gestern.
Gelaufen: 5,5km, das Jahresziel ist geknackt und um 700 Meter übertroffen. Da kommen sicher noch 150 Kilometer obendrauf. So zumindest der Plan.
Gelesen: Matheaufgaben. „Gib die Distanz der Städte in einem Balkendiagramm an, 100 Kilometer sind dabei ein Millimeter, runde.“ (Weil – alles rund heut, da war’s wieder)
Gefreut über: Das Laufziel geschafft zu haben, obwohl es mit Knieverletzung im Januar gar nicht danach aussah. Die Ankündigung, dass mein Home-Gym-Zuwachs morgen per Spedition eintrifft.
Geärgert über: Dass ich den Italienisch-Kurs heute verpasst habe, weil die Putzerei so lange gedauert hat. Nächste Woche wieder.