Gedanken zum Montag – Tausend Jahre

Als neulich das Gespräch im Bekanntenkreis auf alte Fernsehsendungen kam, sagte jemand „kennt ihr noch die Serie ‚Es war einmal der Mensch‘?“ Da war dieser weise Mann mit dem langen Bart, der Sägen, Bücher und ganze Einbauküchen aus selbigem ziehen konnte, und diese vielen kleinen Helferlein, die erklärten, wie der menschliche Körper von innen aussieht und funktioniert. Irgendwann summte jemand die Titelmelodie von Udo Jürgens dazu: Tausend Jahre sind ein Tag.

Das Lied, beziehungsweise diese Zeile, begleitet mich seither, denn mittlerweile gehöre ich wohl dank etwas fortgeschrittenen Alters auch zu denen, die ständig betonen, wie schnell die Zeit doch plötzlich vergehe. Vermutlich ist das was Genetisches, das automatisch mit dem vierzigsten Geburtstag aktiviert wird. Grade noch in den Tag hineingelebt, zack, „Kinder, wie die Zeit vergeht“. Grade noch war Silvester, dann haben wir uns über den fehlenden Schnee im Januar (Kind wollte doch endlich Skifahren) beklagt, ich bin so doof aufs Knie gestürzt (und überambitioniert zwei Tage später joggen gewesen), dass sich meine Patellasehne im linken Knie beleidigt enzündet hatte, dann hatte ich in der Redaktion Fasnetsdienst, dann war März und wir haben neue Fahrräder gekauft (und sind reihum einer fiesen Grippe erlegen), das Knie und ich waren endlich wieder Freunde, jetzt ist April und der ist auch schon wieder fast vorbei. Die Wochen, es scheint wirklich so zu sein, fliegen dahin.

Liebgewonnene Menschen sind aus meinem Leben gegangen, aus eigenen Stücken, im Zorn leider. Unnötigerweise auch. Ich habe leise die Tür hinter ihnen geschlossen, weil der Streit auf der Türschwelle nur dafür sorgt, dass es kalt wird. Und das möchte ich nicht. Aber auch hier – die Zeit lässt Gras wachsen.

Ich kann nicht verhindern, dass die Tage, Wochen, Jahre dahinrasen. Aber als ich neulich einem älteren Kollegen zuhörte, musste ich unweigerlich schmunzeln. Er sprach von Arbeitszeitmodellen und sagte mit einem süffissanten Unterton, dass er noch aus einer Generation stamme, in der work-life-balance ein Fremdwort war. Er sagte es so, als sei es eine seltsame Marotte der U-50-Belegschaft, überhaupt an ein Leben außerhalb der Arbeit zu denken. Teilzeit als eine Art eitler Verweigerung. Wer etwas auf sich hält, für den sind die 40 Stunden im Arbeitsvertrag lediglich eine Mindest-Empfehlung, die zu toppen gewissermaßen ehrenvolle Pflicht ist, will man seinen Job richtig machen.

Gesagt hat niemand etwas. Aber das innere Stirnrunzeln war förmlich zu hören. Vielleicht, dachte ich mir, haben sich die etwas jüngeren Kollegen die älteren „Vorbilder“ mit der Arbeitsmoral eines Zinnsoldaten genau angesehen. Und vielleicht konnte einfach niemand von ihnen etwas Erstrebenswertes darin finden, mit Mitte 30 an Bluthochdruck zu leiden und mit Mitte 40 einen latenten Burnout wie eine Lunchbox jeden Tag ins Büro mitzuschleppen.

Vielleicht machen die ihren Job viel richtiger, die ihre Kräfte nach eigenem Gusto richtig einteilen, sich Raum geben und nehmen, an anderen Stellen ebenso 100 Prozent zu leisten? Wer weiß schon heute, wie die Generation meiner Tochter mal arbeitet?

Denn die Zeit vergeht für uns alle gleich schnell. Und wie viel jeder von uns davon hat, weiß niemand. Die Frage, die jeder für sich beantworten muss, ist, was er mit der Zeit anfangen möchte, die ihm gegeben ist.

Ich habe vor einiger Zeit den Sport für mich entdeckt. Ich, die 40 Jahre lang glaubte, Sport sei etwas für andere Menschen. Ich würde nicht behaupten wollen, zu den ambitionierten Freizeitsportlern zu gehören, ich habe zum Beispiel keinerlei Lust auf Wettkämpfe oder darauf, mich mit anderen zu messen. Es geht mir dabei viel eher ums Zwiegespräch mit mir. Wenn ich laufe, wenn ich das richtige Tempo finde, laufen meine Gedanken auf wundersame Weise neben mir her, biegen ab, kehren zurück, machen Umwege, nehmen Abkürzungen, bringen mich auf freier Strecke zum Schmunzeln oder zum Grübeln. Wenn ich nach Hause komme, habe ich ein … sagen wir gut durchblutetes Gesicht, müde Beine und fühle mich wunderbar ausgepowert. Ganz ehrlich – selten hatte ein Tag in der Redaktion einen ähnlichen Effekt auf mich, wenngleich meine Kollegen für mich sowas sind wie eine Woche Ibiza in Personalform.

Gestern haben wir ein paar Kilometer mit den neuen Mountainbikes gedreht. Und da hatte ich ganz kurz das Gefühl, dass sich die Zeit auch zurückdrehen kann: Nämlich als ich johlend bergab über einen matschigen Waldweg schoss und geradeso zwischen zwei tiefen Pfützen hindurchgezirkelt kam. Ich hatte danach Hosenbeine wie ein Erdferkel und Herzklopfen vor lauter Adrenalin, aber … es war ein Glücksmoment, der mich gefühlt um Jahre zurückgeworfen hat.

Und ich glaube, in meiner altersbedingten Weisheit, dass ich diese Momente sammeln möchte. Diese Momente, an denen gefühlt die Zeit kurz stehen bleibt, die sich einbrennen in mein Hirn. Um dann auch wieder Kraft und Lust zu haben, die restliche Zeit am Schreibtisch alles zu geben.

Was ist Zeit?
Was ist Zeit?
Was ist Zeit?
Was ist Zeit?
Ein Augenblick
Ein Stundenschlag
Tausend Jahre
Sind ein Tag

LaSignorina