Es läuft und es läuft ganz schön gut!

Es ist morgens, viertel vor sieben. Ich sitze auf meinem Balkon mit einem Kaffee in der Hand und einem Glas Wasser auf dem Tisch (dazu später mehr) und lausche dem monotonen Gesang eines Gartenvogels, der offenbar schon wichtige Mitteilungen an die übrige Vogelwelt zu überbringen hat. Ich trage – eine Sporthose und ein Funktionsshirt und betrachte versonnen die seitlichen Wadenmuskeln meiner Beine, die auf dem Stuhl gegenüber liegen und sich beim Anspannen deutlich abzeichnen.

Wer bis hier her gelesen hat und mich kennt, weiß spätestens jetzt, dass in dem unverbloggten letzten Jahr (how did that happen?) einiges passiert sein muss in meinem Leben. Zu allererst: Nichts Schlimmes, was in Pandemiezeiten ja schon mal nicht schlecht ist.

Und dennoch – nachdem ich zwei Jahre lang 1000 Extra-Kilometer pro Jahr gewandert und spaziert bin, beschloss ich eines dienstags, jetzt joggen zu lernen. Und während ich das schreibe, wird mir einmal mehr bewusst, wie gut das Leben es mit einem meint, wenn man dienstagnachmittags beschließen kann, jetzt etwas zu ändern, einfach so.

Kurzer Rückblick: Vor knapp 20 Jahren bin ich mit meinem Mann zusammengezogen. Damals beschloss ich, nun, da ich so im Grünen wohne, sportlich zu werden und joggen zu gehen. Ich suchte mit einen Lauflernplan im Internet, schnürte Turnschuhe und rannte los.

Ich erinnere mich gut, dass ich am Ende dieses Nachmittags tränenüberströmt auf einem Bänkle saß. Weil ich es einfach nicht konnte. Der Plan sagte, zwei Minuten laufen, zwei Minuten gehen. Nie zuvor waren zwei Minuten so lang gewesen wie in der Laufphase, nie so kurz wie in der Erholungsphase. Völlig frustriert stapfte ich nach Hause mit der Gewissheit, dass alle, die mir immer gesagt hatten, ich sei halt unsportlich, wohl Recht hatten. Ich habe nie wieder einen Versuch unternommen, laufen zu gehen.

Wohl aber merkte ich viele Jahre später, dass ein bisschen mehr Bewegung durchaus gut wäre. Ein Schrittzähler machte mir schonungslos klar, dass der Drucker im Büroflur gar nicht so weit weg ist, wie ich immer dachte. Auf mehr als 3000 Schritte kam ich nie, was mich zunehmend fuchste. Also setzte ich mir das Ziel, 1000 Kilometer im Jahr zu laufen. Über die App von adidas stellte ich den Zähler auf 1000 und spazierte los. Im ersten Jahr absolvierte ich die letzten Kilometer am Silvestermorgen. Im Jahr drauf schaffte ich 1111, im Jahr danach über 1200.

Und dann kam der Oktober 2021. Ich hatte wieder einmal diesen Traum geträumt, den ich ein- oder zweimal jährlich träume: Ich jogge leichtfüßig in einer großen Stadt auf Kopfsteinpflaster um Pfützen herum an einer Bushaltestelle vorbei, wo eine ältere Dame sitzt und mich freundlich grüßt. Diese Sequenz ist schon alles, aber sie tauchte jahrelang immer wieder in meinen Träumen auf.

Und so beschloss ich an einem Dienstag im Oktober, jetzt joggen zu lernen. Ich fand einen Laufplan (es war derselbe wie vor 20 Jahren, btw), zog mich um und verließ das Haus. Unsere Straße ist ziemlich lang und ebenerdig und offenbar hatte die Bewegung der letzten Jahre mehr bewirkt, als ich gedacht hätte – ich konnte 2 Minuten durchlaufen (und war dann trotzdem dankbar für 2 Minuten Pause). Ich lief die Straße rauf und runter wie eine Bekloppte, allerdings ohne mich zu fragen, was die Nachbarn von mir denken. Es hat durchaus Vorteile, nicht mehr Anfang 20 zu sein.

Ich lief eine Woche, eine zweite Woche, steigerte meine Intervalle. An 6×4 Minuten hatte ich lange zu kämpfen, dafür gingen 4×6 Minuten dann gut und plötzlich konnte ich zehn Minuten am Stück laufen. Nach etwas mehr als vier Wochen. Und nach etwa anderthalb Monaten lief ich eine halbe Stunde am Stück. Langsam zwar, aber konstant und durch. .

Ich hatte mir selbst bewiesen, dass man auch eigene Glaubenssätze hinterfragen darf und dabei erstaunliches entdeckt. Ich lief dreimal die Woche, stur, bei Wind und Wetter, bei Kälte und Schnee. Ich biss oft genug die Zähne zusammen und verfluchte die Alb, auf der es ständig buckelauf und buckelab geht. Aber ich lief weiter. Ich bekam Bluetooth-Headphones zu Weihnachten und deckte mich mit schönen Sportklamotten ein, ich habe mittlerweile zwei Paar Laufschuhe verschlissen, das Dritte wird demnächst aussortiert. Ich habe Kondition aufgebaut und sie dank einer Coronainfektion auch wieder eingebüßt und ein zweites Mal aufgebaut. Ich laufe mittlerweile mit Freude und denke nicht mehr ans Sterben dabei, sondern an … allerhand. Ich laufe, ohne zu merken, dass ich laufe. Es ist einfach nur gut und ich bin stolz, dieses ganz persönliche Level freigeschaltet zu haben, das ich nicht mehr missen möchte.

Ansonsten – wenn ich nicht gerade laufe – hat mir in den letzten Wochen eine Blasenentzündung einen unfassbaren Aha-Effekt beschert. Die Erkenntnis ist so banal, dass es sich für jeden normalen Menschen völlig albern anhören muss, nicht aber für mich. Nämlich: Trinken ist wichtig. Sagt die Frau, die täglich mit Disziplin maximal auf einen Liter Flüssigkeit gekommen ist, eher auf weniger.

Sagt die Frau, die sich in der Apotheke anhören musste, dass sie bitte zu den Tabletten drei Liter am Tag trinken müsse. Sagt die Frau, für die drei Liter etwa Badewannenvolumen ist und die es trotzdem geschafft hat. Und damit nicht nur die Blase wieder ins Lot bringen konnte, sondern ganz viele Alltags-Mimimis beseitigt hat. Nämlich die Mittagsmüdigkeit nach dem Essen, die Kopfschmerzen am Rechner, die Mattigkeit an manchen Tagen, die Nulltoleranz gegenüber Temperaturen über 27 Grad … seit ich morgens zum Kaffee gleich ein großes Glas Wasser trinke und bevor ich aus dem Haus gehe ein weiteres, schaffe ich locker zwei Liter täglich und es geht mir so viel besser! Wie gesagt, trinken ist enorm wichtig, wer’s nicht wusste, gern geschehen.

Und sonst noch? In vier Wochen sind Sommerferien in Ba-Wü, wir sehnen sie alle herbei. In sieben Wochen habe ich Urlaub, auch darauf freue ich mich. Der Job ist noch immer das, wofür mein Herz schlägt, die Kollegen sind Zucker. Die Umstände allerdings haben sich zugespitzt, wir werden immer weniger, die Belastung, die jeder Einzelne dabei stemmen muss, wird immer größer. Der Spaß am Tun bleibt dabei oft auf der Strecke. Ein Zustand, den ich mit mir selbst nur schwer vereinbaren kann, mal sehen, wie’s da weitergeht.

Und ihr so? Was hab ich verpasst?

LaSignorina